Hexenkind
waren.«
Also doch, dachte Marcello, verflucht noch mal, jetzt ist es also doch passiert, jetzt fliegt alles auf, und ich sitze wie eine Maus in der Falle.
»Ich bin Pilze suchen gegangen.«
»Wann?«
»So gegen sieben.«
»Wo sind Sie langgegangen?«
»Ich habe meinen Wagen in Solata geparkt und bin dann Richtung Cennina gewandert.«
»Also befanden Sie sich genau in der Gegend, in der das Haus der Signora steht?«
»Mag sein. Ja. Aber das interessierte mich nicht. Mich interessieren nur die Pilze, die in dieser Gegend wachsen, und dort ist ein verdammt gutes Pilzgebiet.« Allmählich gewann Marcello ein bisschen mehr Sicherheit. Wenn die Fragen des Commissario weiter so allgemein blieben, war ja alles gut.
»Haben Sie während des Pilzesammelns in dieser Gegend irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt, irgendjemand gesehen, oder können Sie mir sonst noch irgendeine Auskunft geben, die mir weiterhelfen könnte?«
»Leider nicht. Nein.« Marcello setzte eine Miene des Bedauerns auf und rieb sich das Kinn. Pia lächelte ihrem Mann zu, und Marcello erwiderte das Lächeln. Er entspannte sich
zusehends. Es würde alles gut gehen, das Leben ist großartig, danke, Dio, danke.
Neri war manchmal ein ungehobelter Klotz und nicht gerade der schnellste Denker. Knifflige logische Probleme zu lösen war seine Sache nicht, aber er hatte eine gute Intuition und einen sensiblen Sensor für atmosphärische Spannungen. Er spürte sofort, wenn zwei Menschen ineinander verliebt waren, aber steif und fest behaupteten, sich nicht zu kennen, er wusste ganz genau, wenn jemand log, und ihn konnte niemand durch Freundlichkeit täuschen, wenn er in Wahrheit hasserfüllt war. Hier in der Küche der Vannozzis entging Neri nicht, dass Marcello sichtlich gelassener wurde, dass die nackte Angst aus seinen Augen verschwand und sich Erleichterung in seinem Verhalten breit machte. Nicht mit mir, mein lieber Freund, dachte Neri, und beschloss zu bluffen. Marcello hatte mit der Sache zu tun, da war er sich sicher, er wusste nur noch nicht inwiefern.
»Ich bin hier, Signor Vannozzi«, sagte Neri mit einem Lächeln im Gesicht, »weil ein Jäger ausgesagt hat, dass er beobachtet hat, wie Sie aus dem Haus der Signora kamen. So gegen neun Uhr morgens am 21. Oktober. Können Sie mir das erklären?«
Marcello hatte ein ähnliches Gefühl wie bei seinem Herzinfarkt vor zwei Jahren. Er bekam keine Luft mehr, und für zwei Sekunden wurde ihm schwarz vor Augen.
Pia zog die linke Augenbraue hoch und sah ihren Mann abwartend an. Sie sah aus wie eine Raubkatze, kurz bevor sie zum Sprung auf ihr Opfer ansetzt.
»Ja, ich war im Haus der Signora«, flüsterte Marcello nach einer unerträglich langen Pause. »Verdammt noch
mal ja, ich habe ihre Leiche gesehen, aber ich hatte nicht den Mut, es der Polizei zu melden.«
»Warum denn nicht? Es ist doch kein Verbrechen, eine Leiche zu finden?«
»Ich hatte einen Schock. Ich fühlte mich nicht in der Lage, eine Aussage zu machen. Ich dachte, es ist besser, wenn sie jemand anders findet. Ich wollte nichts damit zu tun haben.«
»Aber jetzt haben Sie mehr damit zu tun, als Ihnen wahrscheinlich lieb ist. Was hat Sie denn so schrecklich schockiert?« Neri konnte sich den leichten Spott in seinem Tonfall nicht verkneifen.
Marcello atmete so tief ein, als wolle er die nächsten drei Minuten die Luft anhalten. »Ich bin es nicht gewohnt, einer Toten gegenüberzustehen. Ich habe keine Erfahrung mit Leichen. Der einzige Tote, den ich je gesehen habe, war mein Großvater. Ich war fünfzehn, stand an seinem Bett und versuchte zu begreifen, dass er nie mehr die Augen aufschlagen würde. Ein unglaublicher Friede ging von seinem Gesicht aus, eine totale Zustimmung mit seinem Zustand. Aber als ich die Signora sah – das war Brutalität und Sadismus. Schwer zu ertragen.«
»Hübsch formuliert.« Neri stand auf und begann, in der Küche umherzuwandern, was Pia nervös machte. Ihr Gesicht war dunkelrot, und ihre Augenlider flatterten aus Angst vor dem, was sie vielleicht noch alles erfahren würde.
»Okay.« Neri redete nur, um seine eigenen Gedanken zu sortieren. »Sie finden die tote Sarah Simonetti, sind erschrocken und beschließen, so zu tun, als wären Sie nie in diesem Haus gewesen und als existiere die Leiche gar nicht. Sie verlassen das Haus. Was haben Sie dann gemacht?«
»Ich bin zu meinem Auto gelaufen und nach Bucine gefahren. Da ist freitags Markt. Ich habe ein paar Steinpilze gekauft und in der Bar an der
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