Hexenmacht
Tintenfass befanden, aus dem eine rote Feder dekorativ herausragte. Ihre blauen Augen drückten tiefe Erschöpfung aus.
Der Mann, der sich Dr. Graves nannte, stand am Fenster und blickte einen Augenblick lang gedankenverloren hinaus.
In seinem Inneren arbeitete es fieberhaft.
Die Situation ist kompliziert geworden!, ging es ihm durch den Kopf.
"Ich kenne die Smith'", sagte Graves dann. "Diese Patricia Smith heißt in Wirklichkeit Patricia Vanhelsing und ist Journalistin der London Express News. Und Mr. Smith heißt in Wahrheit Steve Davis. Ein New Yorker Journalist, soweit ich weiß freischaffend. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich in dem Punkt auf dem neuesten Stand bin..."
"Nun, etwas Reklame könnte unserem Geschäft doch nicht schaden", gab Lady Blanchard zu bedenken. "Und außerdem - sie wären nicht die ersten, die unter falschem Namen hier auftauchen - einfach, weil niemand erfahren soll, dass sie sich mit etwas derart obskurem wie der Beschwörung von Geistern befassen!"
"Sie verkennen die Lage, Lady Blanchard..."
Sie hob die kräftigen, nachgezogenen Augenbrauen und ihr Blick wirkte jetzt ein wenig wacher und aufmerksamer.
"Ach, ja?", meinte sie ein wenig schnippisch.
"Diese beiden Reporter sind keineswegs hier, um mit ihrem Großvater zu sprechen. Vielleicht ist ihr Ziel auch, herauszufinden, ob wir Scharlatane sind."
"Sollen sie ruhig! Dann werden Sie sehen, dass alles, was wir tun damit nicht das geringste zu tun hat!", ereiferte sich Lady Blanchard.
Dr. Graves' Gesicht verzog sich zu einem dünnen Lächeln. In seinen Augen blitzte es auf eine Weise auf, die jeden beunruhigen musste, der ihm in dieser Sekunde ins Gesicht sah.
Ein Blick, den niemand so schnell vergaß und der ihm trotz seiner Unscheinbarkeit etwas Unverwechselbares gab.
"Vielleicht wollten sie ursprünglich tatsächlich mit einen Toten in Kontakt treten - mag er ein Verwandter sein oder auch nicht. Aber sie sind vor allem meinetwegen hier..."
"Ihretwegen, Dr. Graves?"
"Sie wissen nicht viel über meine Vergangenheit, Lady Blanchard."
"Nur, dass Sie sie unter allen Umständen im Dunkeln lassen wollten..."
"So ist es. Und ich habe meine Gründe dafür."
Dr. Graves atmete tief durch. Sein Blick bekam etwas sehr eindringliches. Er machte ein paar Schritte auf Lady Blanchard zu und blieb vor ihrem Schreibtisch stehen. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, als sie ihm in die Augen sah und die mörderische Entschlossenheit gewahrte, die diesen Mann auszeichnete.
Sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte.
"Die beiden müssen sterben, Lady Blanchard!", sagte der unscheinbare Mann leise. Sein Wispern klang wie das Zischen einer Kobra, die sich zum Angriff aufgerichtet hat. Sein Blick glich dem kalter Facettenaugen. "Zumindest müssen sie unschädlich gemacht werden...", meinte er. "Sie sind uns nämlich näher auf den Fersen, als Sie glauben wollen, Lady Blanchard!"
"Uns?", fragte sie zurück. "Wohl eher Ihnen. Dr. Graves oder wer immer Sie in Wirklichkeit sein mögen!"
"Ich habe noch mit Ellison gesprochen... Dieser Steve Davis, wie der wahre Name des New Yorkers lautet, scheint überzeugt davon zu sein, dass ein Zusammenhang zwischen unseren okkulten Praktiken und dem Tod des Farmers besteht..."
Lady Blanchard wurde bleich.
"Aber..."
"Die beiden waren am Strand und sind dem Mann mit der Narbe begegnet..."
"Oh, Gott..."
"Sie haben noch nichts in der Hand und solange das so ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Aber sie werden weiterbohren und früher oder später auf etwas stoßen. Und dann geht es uns an den Kragen, Lady Blanchard!"
Ihr Lächeln war kalt und berechnend. "In erster Linie wohl Ihnen, Dr. Graves!"
"Ich glaube, dass Sie das zu optimistisch sehen", erwiderte Dr. Graves. "Sollte es mir an den Kragen gehen, ist Ihre Existenz gefährdet. Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, dass ausschließlich mein okkultes Wissen Sie dazu befähigt, Ihre zweifellos vorhandenen übersinnlichen Kräfte auf eine Weise einzusetzen, die profitbringend ist... Bislang läuft unser gemeinsames Geschäft ausgezeichnet, aber gemessen an den Schulden, die Sie haben, haben Sie nicht mehr erreicht als eine kleine Atempause... Wenn ich nicht wäre, würde Blanchard Manor innerhalb eines Vierteljahrs unter den Hammer kommen. Denn Sie könnten weder auf weitere Kredite noch auf ein Wunder hoffen!"
Lady Blanchard seufzte. Sie erhob sich. Der Blick, mit dem sie Dr. Graves bedachte war von Abscheu gekennzeichnet.
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