Hexenseelen - Roman
Dunkelheit, wurde sich der Wände des Luftschutzbunkers bewusst, die sie erdrückten. Sie verstaute das Messer im Stiefel und sah in das entstellte Gesicht des Jungen. Nichts empfinden!, mahnte sie sich. Du hast keinen Grund zu zweifeln.
»Heute ist dein Glückstag, mein Lieber. Ich muss los. Und du solltest dir gut überlegen, ob du dich uns nicht doch anschließen willst. Denn in wenigen Stunden wird es dein Clan-Oberhaupt nicht mehr geben. Genauso wie den Clan selbst.«
Stella klopfte an die Metalltür und wartete, bis diese aufgesperrt wurde. Als sie wenige Minuten später dem
Gang zum Rohr folgte, kehrten die Erinnerungen zurück. Conrad. Der Mann, der sie aufgenommen, der ihr Halt und Sicherheit gegeben hatte, als sie es am meisten brauchte.
Und jetzt musste sie ihn vernichten.
Stella blinzelte. Sie stand beim Ausgang. Ihre Hände zitterten, und diesmal war nicht die Klaustrophobie schuld. Das sind nicht meine Zweifel, mahnte sie sich, es ist bestimmt der Junge, der mich noch beeinflusst.
Das musste aufhören. Jetzt, sofort.
Das Licht ihrer Taschenlampe streifte die Wände und beleuchtete die Aufschrift. Mehrfach las sie diesen einen Satz, bis sich daraus etwas anderes vor ihren Augen ergab: Des Erlösers Tun ist immer recht!
Kapitel 5
D er Schlag ihres eigenen Herzens wurde für Ylva zum einzigen Maß für die Realität. Er durchwallte ihren Körper und dröhnte als tiefes Wummern in ihren Ohren. Sie senkte die Lider und merkte, wie sie im Griff dieses fremden Mannes dahinschwand. Sie merkte es, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Und je mehr Herzschläge sie abzählte, desto weniger wollte sie sich dagegen wehren.
Es ist wie bei Linnea , stieg es zusammen mit der Furcht in ihrem Kopf auf.
Es ist anders , begriff sie in derselben Sekunde mit den Resten ihres Verstandes.
Denn dieser Mann brach ihren Willen nicht, nein, er befreite sie. Auf eine groteske, erschreckende Weise. Er befreite sie von Linneas Macht, von Hunderten von Fragen, die in ihrem Kopf schwirrten, von der Pflicht, stets irgendetwas tun zu müssen, um sich nicht zu verlieren.
Der Boden unter ihren Füßen gab nach, die Welt um sie herum schien sich zu verflüssigen und von ihr fortzuströmen. Ihre Wahrnehmung beschränkte sich jetzt auf die Arme, die sie hielten, und auf die Lippen, die
ihren Mund verschlossen. Der Geruch des Mannes kitzelte ihre empfindliche Nase, die sogleich zu zucken begann. Er roch nach Erde, Dünger und nach exotischen Blumen. Sonst nichts. Als hätte er überhaupt keinen eigenen Körpergeruch. Nur der Hauch des Todes umhüllte ihn, und sie empfand ihn so intensiv, als wäre auch sie längst aus dem Leben geschieden. Intuitiv wusste Ylva, sie musste sich gegen den Kuss wehren. Stattdessen erwiderte sie ihn, öffnete sich dem Fremden und gab ihm alles von sich. Sie schmeckte ihn, schmeckte ihren eigenen Tod.
Er war … ein Totenküsser, begriff sie, und die Erkenntnis spielte keine Rolle mehr für sie.
Die Energie strömte aus ihrem Körper. Du wirst für ihn sterben , hallte es in ihrem Kopf. Wach auf! Kämpfe!
Ylva stöhnte. Erinnerungen stiegen wieder in ihr empor, diesmal so klar wie noch nie zuvor und so durchdringend, als würde sie alles erneut erleben. Im Hier und Jetzt.
Sie kauert unter einem Busch. Es ist Nacht. Es ist kalt. Die Erde ist mit einer Frostschicht überzogen. Ihr Vater trommelt gegen die Tür eines Reihenhauses, klingelt, dann trommelt er weiter. Im schwachen Licht der Lampe, die an der Hauswand angebracht ist, wirkt seine Gestalt drahtig. Ausgezehrt von Angst, Hunger und ständiger Flucht.
Ein Wimmern verlässt ihre Lippen: »Paps, lass uns gehen, bitte!« Fast vollständig verkriecht sie sich unter dem Busch, haucht auf ihre klammen Finger und versucht,
die Hände in den löchrigen Taschen des Anoraks zu verstecken. Ihr Magen knurrt. Das Abendessen war nicht üppig ausgefallen - eine Tüte Sauerkraut, die sie in dem Müllcontainer eines Discounters gefunden hatte.
»Keine Angst, mein Mädchen«, antwortet ihr Vater stotternd, und sie hört seine Zähne klappern. Er hat ihr seinen Anorak gegeben und friert, bemüht sich aber, es ihr nicht zu zeigen. Tapfer bist du, ganz tapfer , denkt sie und tut so, als würde sie nicht merken, wie kalt es ihm ist. Denn sie kann es nicht fertigbringen, ihm das Kleidungsstück zurückzugeben. Er verlangt auch nicht danach.
»Bald wirst du in Sicherheit sein. Ich kann dich nicht beschützen, zumindest nicht allein. Aber meine Schwester wird es
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