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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hin und zogen sich dann hastig zurück. Andere strömten zusammen, als der junge Priester in seiner zerrissenen Soutane und mit immer noch blutendem Kopf die Fackeln entzündete, und bald darauf loderte der ganze Scheiterhaufen. Der junge Geistliche stand sehr dicht davor und sah zu, wie das Holz brannte; dann wich er zurück, begann zu schwanken und fiel schließlich wie tot zu Boden.
    Noch einmal stieg ich die Treppe hinauf auf das Dach der Kirche. Ich schaute hinunter auf meine Deborah, wie sie dort unten tot und reglos und jenseits aller Schmerzen in den Flammen lag, die sie verzehrten. Mein Blick ging hinaus über die Dächer, die jetzt überall von schwarzen Löchern übersät waren, wo die Pfannen herausgerissen worden waren, und ich dachte an Deborahs Geist und fragte mich, ob er wohl zu den Wolken emporgestiegen war.
    Erst als der aufsteigende Rauch so dick und stinkend von Kohle, Holz und Pech wurde, daß ich keine Luft mehr bekam, zog ich mich zurück. Ich ging ins Gasthaus, raffte meine Sachen in den Koffer und machte mich auf die Suche nach meinem Pferd, und wenig später ritt ich zur Stadt hinaus.
    Nachdem ich viele Stunden unter großen Schmerzen in meiner Schulter und noch größeren in meiner Seele durch den Wald geritten war, kam ich nach Saint-Rémy, und dort versank ich in tiefen Schlaf.
    Niemand hatte dort schon von dem Unglück gehört, und ich ritt in aller Frühe weiter nach Süden, nach Marseille.
    Die letzten beiden Nächte habe ich halb schlafend, halb wachend in meinem Bett gelegen und an die Dinge gedacht, die ich gesehen habe. Ich habe um Deborah geweint, bis ich keine Träne mehr hatte. Ich habe an mein großes Verbrechen gedacht und gewußt, daß ich keine Schuld empfinde, sondern nur die Überzeugung, daß ich genauso wieder handeln würde.
    Gleichwohl, einen Mord habe ich begangen, Stefan. In deiner Hand liegt mein Geständnis. Und ich erwarte nichts als deinen Verweis und den Verweis des Ordens – denn wann hätten sich unsere Gelehrten dazu hinreißen lassen, Morde zu begehen und Hexenrichter von Kirchendächern zu stoßen, wie ich es getan habe?
    Zu meiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, daß mein Verbrechen in einem Augenblick der Leidenschaft und der Unbedachtheit geschehen ist. Aber ich bereue es nicht. Das wirst du merken, sobald du mich zu Gesicht bekommst. Ich habe dir keine Lügen zu erzählen, mit denen ich die Sache einfacher machen könnte.
    Meine Gedanken sind nicht bei diesem Mord, während ich dies schreibe. Sie sind bei meiner Deborah und ihrem Geist Lasher und bei dem, was ich in Montcleve gesehen habe. Und sie sind bei Charlotte Fontenay, Deborahs Tochter, die nicht, wie ihre Feinde glauben, nach Martinique, sondern nach Port-au-Prince auf Saint Domingue gereist ist, was vielleicht nur ich allein weiß.
    Stefan, ich kann nicht anders: Ich muß diese Geschichte weiter erkunden, ich muß diese unglückselige Charlotte aufsuchen – ganz gleich, wie weit die Reise geht – und offenen Herzens mit ihr sprechen, um ihr zu sagen, was ich gesehen habe und was ich weiß.
    Das aber kann keine schlichte Darlegung sein, kein Appell an die Vernunft und auch keine sentimentale Beschwörung, wie ich sie in meiner Jugend Deborah gegenüber erhoben habe. Meine Argumente müssen untermauert sein. Es muß Gespräche geben zwischen mir und dieser Frau, damit sie mir erlaubt, mit ihr gemeinsam dieses Wesen zu erforschen, das aus der Unsichtbarkeit und dem Chaos hervorgeholt wurde, um größeren Schaden anzurichten als jeglicher Dämon oder Geist, von dem ich je zuvor gehört habe. Ich gedenke also, die Natur dieses Wesens zu studieren, und was immer dabei heraus kommen mag, es wird der Mühe wert sein.
    Nun habe ich in diesen langen Stunden der Pein und Herzensqual, da ich hier liege, sorgfältig in meiner Erinnerung alles betrachtet, was ich je an alter Kunde über Geister und Dämonen und dergleichen gelesen habe.
    Ich habe die Schriften der Zauberer bedacht, ihre Warnungen und die Anekdoten und Lehren der Kirchenväter, denn mögen sie auch in mancher Hinsicht noch so große Toren sein, die Kirchenväter wissen doch das eine oder andere über Geister, und darin befinden sie sich in Übereinstimmung mit den Alten; diese Übereinstimmung aber ist ein signifikanter Punkt.
    Denn wenn die Römer, die Griechen, die hebräischen Schriftgelehrten und die Christen allesamt die gleichen Wesen beschreiben, die gleichen Warnungen äußern und die gleichen Formeln angeben, mit denen sie

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