Hexenstunde
sehr reich sei, sehr schön und sehr strahlend, mit fließenden, flachsblonden Locken und blauen Augen, die einen verzaubern, und daß ihr Gemahl in der Tat durch eine Kinderkrankheit arg verkrüppelt sei, die eine fortschreitende Schwäche seiner Glieder zur Folge habe. Er sei der Schatten eines Mannes. Aus diesem Grunde habe Charlotte ihn nach Montcleve gebracht: damit ihre Mutter ihn kurieren könne und auch, damit sie ihren kleinen Sohn auf etwa vorhandene Anzeichen der Krankheit untersuchen könne. Tatsächlich erklärte Deborah den Jungen für gesund. Und Mutter und Tochter ersannen gemeinsam eine Salbe für die Glieder des Ehemanns, die ihm war große Erleichterung brachte, aber nicht die Heilung; man nimmt nun an, daß er bald ebenso hilflos sein wird wie sein Vater, der an der gleichen Krankheit leidet.
Es ist hier auch allgemein bekannt, daß Charlotte und der junge Antoine ihren Besuch bei Deborah genossen und schon mehrere Wochen bei ihr verbracht hatten, als mit dem Tode des Comte die Tragödie über die Familie hereinbrach; und den Rest kennst du ja. Nur, daß die Leute in Marseille vielleicht doch nicht so sehr an Hexerei glauben und den Wahnwitz dieser Verfolgung eher dem Aberglauben der Bergbewohner zuschreiben – doch was wäre der Aberglaube ohne den berühmten Hexenrichter, der ihn vorantriebe?
Charlotte und der junge Fontenay verursachten hier ein großes Aufsehen, denn sie führen anscheinend ein höchst extravagantes Leben und sind voller Großzügigkeit gegenüber jedermann; sie verteilen ihre Münzen, als wären sie nichts wert, und zur Messe sind sie mit einem Gefolge von Schwarzen erschienen, wie sie es auch in Montcleve getan haben, was die Blicke aller auf sie zog. Man sagt zudem, sie hätten jeden Arzt, den sie über Antoines Gebrechen konsultiert hätten, vorzüglich bezahlt, und es gibt manche Spekulation über den Ursprung seiner Krankheit: ob sie nun der übergroßen Hitze in Westindien entspringe oder ob es eine alte Krankheit sei, an der schon in vergangenen Zeiten viele Europäer gelitten haben.
Doch ich habe noch mehr zu berichten. Während ich mich unter mancherlei Kosten als reicher holländischer Kaufmann aufführte, glückte es mir, den Namen einer höchst anmutigen und schönen jungen Frau in Erfahrung zu bringen. Sie ist aus vornehmer Familie und war mit Charlotte Fontenay befreundet. Ich sagte nichts weiter, als daß ich Deborah de Montcleve in ihrer Jugend zu Amsterdam gekannt und geliebt hätte, und so gelang es schon, mir das Vertrauen dieser Dame zu sichern, und ich erfuhr mehr aus ihrem Munde.
Charlotte sei, behauptet sie, von bezaubernder und liebreizender Natur und könne niemals eine Hexe sein. Auch sie schiebt es auf die Ignoranz der Bergbewohner, daß irgend jemand solches glauben möchte. Sie hat sich erboten, eine Messe für die Seelenruhe der unglücklichen Comtesse lesen zu lassen.
Was Antoine angeht, so hat diese Dame den Eindruck, er trage sein Leiden mit großer Tapferkeit; er liebe seine Frau wahrlich und sei ihr, wenn man alles in allem berücksichtige, kein schlechter Gatte. Aber der Grund für die weite Reise zu Deborah sei doch der, daß der junge Mann wegen seiner schlimmen Krankheit vielleicht keine weiteren Kinder mehr zeugen könne und daß der einzige Knabe, den sie jetzt hätten, wiewohl er kräftig und gesund sei, die Krankheit womöglich geerbt habe. Das wisse ja niemand.
Weiter gab sie an, der Vater Antoines, der Herr der Pflanzung in Westindien, sei ebenfalls für diese Reise eingetreten – so erpicht sei er auf männliche Nachkommen von Antoine, und so sehr mißbillige er seine anderen Söhne, die auf äußerst liederliche Weise ihren Neger-Mätressen beiwohnen und sich kaum einmal die Mühe machen, das Haus ihres Vaters aufzusuchen.
Auf meine Frage, warum in dem letzten Prozeß in Paris niemand Deborah zu Hilfe gekommen sei, mußte die junge Frau bekennen, daß der Comte de Montcleve selbst nie bei Hofe gewesen sei, und seine Mutter auch nicht; sie seien in der Vergangenheit einst Hugenotten gewesen; niemand in Paris kenne die Comtesse, und Charlotte selbst sei ja nur kurz dagewesen. Als sich aber herumgesprochen habe, daß Deborah de Montcleve in Wahrheit die vaterlose Tochter einer schottischen Hexe sei, strenggenommen eine bloße Bäuerin, da habe sich die Empörung über ihre Notlage erst in Mitleid und dann in Luft verwandelt.
Mehr zu schreiben, habe ich nun keine Zeit mehr. Wir stechen in einer Stunde in See.
Stefan, muß
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