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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht doch mehr dahinter?« bohrte ich.
    »Ich habe Julien davon erzählt«, sagte er. »Ich habe es Julien erzählt; ich habe gesagt, es sei bei uns im Zimmer, und wir seien nicht allein: Es… beobachtete uns. Aber er hat nur gelacht, wie er über alles lachte. Er meinte, ich solle nicht so befangen sein. Aber ich hätte schwören können, daß es da war! Es kam, wissen Sie, wenn Julien und ich… zusammen waren.«
    »War es etwas, das Sie gesehen haben?«
    »Nur zum Schluß«, sagte er, und er setzte etwas hinzu, das ich nicht verstand. Als ich nachfragte, schüttelte er den Kopf und preßte nachdrücklich die Lippen zusammen. Dann senkte sich seine Stimme zu einem Flüstern. »Muß es mir eingebildet haben. Aber in den letzten paar Tagen, als Julien so krank war, hätte ich schwören können, daß da etwas war, ganz eindeutig. Es war bei Julien im Zimmer, es war bei ihm im Bett.«
    Seine Mundwinkel krümmten sich herab, und er runzelte die Stirn; seine Augen funkelten mich unter buschigen Brauen an.
    »Ein furchtbares, furchtbares Ding«, wisperte er kopfschüttelnd, und wieder schauderte es ihn.
    »Haben Sie es gesehen?«
    Er wandte sich ab. Ich stellte ihm noch ein paar Fragen, aber ich wußte, daß meine Mühe vergebens war. Als er noch einmal Antwort gab, verstand ich undeutlich, daß die anderen von dem Wesen gewußt hätten: Sie hätten es gewußt und so getan, als wüßten sie nichts.
    Dann sah er mich wieder an. »Ich sollte nicht wissen, daß sie es wußten. Aber sie wußten es alle. Ich habe zu Julien gesagt: ›Da ist noch etwas im Haus, und ihr wollt mir nicht sagen, daß ihr es alle wißt; aber ihr wißt, was ihm gefällt und was es will – und ihr wollt mir nicht sagen, daß ihr es wißt.‹ Und er sagte: ›Jetzt hör auf, Richard‹, und er benutzte all seine… Überzeugungskraft, sozusagen, damit ich die Sache vergäße. Und dann, in der letzten Woche, in dieser furchtbaren letzten Woche, da war es da – in seinem Bett. Ich weiß es. Ich bin auf meinem Stuhl aufgewacht und habe es gesehen. Wirklich. Ich habe es gesehen. Es war der Geist eines Mannes, und er hat es mit Julien getrieben. O Gott, was für ein Anblick. Denn, wissen Sie, ich wußte ja, daß er nicht real war. Überhaupt nicht real. Es war ja unmöglich. Und trotzdem habe ich ihn gesehen.«
    Er schaute weg, und das Zittern seiner Lippen wurde schlimmer. Er wollte ein Taschentuch hervor ziehen, aber er nestelte nur daran herum. Ich wußte nicht, ob ich ihm helfen sollte oder nicht.
    Dann schüttelte er den Kopf und erklärte, er könne jetzt nicht mehr sprechen. Er wirkte völlig erschöpft. Er sagte, er bleibe nicht mehr den ganzen Tag im Geschäft und werde bald nach oben gehen. Ich dankte ihm ausgiebig für die Bilder, und er murmelte: Ja, er sei ja froh, daß ich gekommen sei, denn er habe auf mich gewartet, um mir die Bilder zu geben.
     
    Ich habe Richard Llewellyn nie wiedergesehen. Er starb etwa fünf Monate nach unserem letzten Gespräch, Anfang 1959. Man begrub ihn auf dem Lafayette-Friedhof, nicht weit von Julien.
    Es war zehn nach zwei. Michael hörte nur auf zu lesen, weil er aufhören mußte. Die Augen fielen ihm zu. Er würde ein Weilchen schlafen müssen, bevor er weitermachte.
    Lange saß er regungslos da und starrte die Akte an, die er gerade zugeklappt hatte. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenschrecken.
    »Herein«, sagte er.
    Aaron trat leise ein. Er trug einen Pyjama und einen wattierten Seidenmantel mit einer Schärpe um den Leib. »Sie sehen müde aus«, stellte er fest. »Sie sollten jetzt ins Bett gehen.«
    »Ich muß«, sagte Michael. »Als ich jung war, da konnte ich den Kaffee nur so in mich hineinschütten. Aber so ist es nicht mehr. Die Augen fallen mir einfach zu.« Er lehnte sich in dem Ledersessel zurück, fischte sich eine Zigarette aus seiner Hemdtasche und zündete sie an. Sein Bedürfnis nach Schlaf war plötzlich so übermächtig, daß er die Augen schloß und fast die Zigarette hätte fallen lassen. Mary Beth, dachte er. Muß weiter, zu Mary Beth. So viele Fragen…
    Aaron ließ sich in den Ohrensessel in der Ecke sinken. »Rowan hat ihren Flug um Mitternacht abgesagt«, erzählte er. »Sie fliegt erst morgen, und vor dem Nachmittag ist sie nicht in New Orleans.«
    »Woher wissen Sie solche Sachen?« fragte Michael schläfrig. Aber in Wirklichkeit beschäftigten ihn ganz andere Dinge. Er nahm noch einen müden Zug von seiner Zigarette und starrte auf den Teller mit den ungegessenen

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