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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Deirdre gehen lassen? »Carlotta – das ist eine Hexe!«
    Von neuem geriet Beatrice beim Thema Carlotta in beträchtliche Erregung, und ihre Kritik umfaßte auch Carlottas Garderobe (»Geschäftskostüme«) und ihre Redeweise (»geschäftsmäßig«); unvermittelt lehnte sie sich über den Tisch und fragte: »Sie wissen ja wohl, daß diese Hexe auch Irwin Dandrich umgebracht hat, oder?«
    Das war mir nicht nur unbekannt, ich hatte auch nie nur die leiseste Andeutung eines solchen Gerüchts vernommen. 1952 hatte man uns berichtet, Dandrich sei irgendwann gegen vier Uhr nachmittags in seiner Wohnung an einem Herzinfarkt gestorben. Es war bekannt, daß er herzkrank gewesen war.
    »Ich habe mit ihm gesprochen«, berichtete Beatrice in sehr gewichtigem Tonfall und mit kaum verhüllter Dramatik. »Ich habe am Tag seines Todes mit ihm gesprochen. Er sagte, Carlotta habe angerufen. Carlotta habe ihn bezichtigt, die Familie zu bespitzeln, und sie habe gesagt: ›Wenn Sie etwas über uns erfahren wollen, kommen Sie nur hierher in die First Street. Dann erzähle ich Ihnen mehr, als Sie je werden hören wollen.‹ Ich riet ihm, nicht hinzugehen. Ich sagte: ›Die wird dich verklagen. Sie wird dir etwas Furchtbares antun. Sie ist verrückt. ‹ Aber er wollte nicht hören. Jetzt werde ich das Haus mit eigenen Augen zu sehen bekommen‹, sagte er. ›Ich kenne niemanden, der seit Stellas Tod dort war.‹ Er mußte mir versprechen, daß er mich anrufen würde, sobald er wieder zu Hause wäre. Aber das hat er nicht getan. Er starb noch am selben Nachmittag. Sie hat ihn vergiftet. Ich weiß das. Sie hat ihn vergiftet. Als sie ihn fanden, sagten sie, es sei ein Herzinfarkt gewesen. Sie hat ihn vergiftet, aber sie hat es so eingerichtet, daß er noch mit eigener Kraft nach Hause gehen konnte und in seinem eigenen Bett starb.«
    »Weshalb sind Sie da so sicher?« fragte ich.
    »Weil so was nicht zum erstenmal passiert ist. Deirdre hat Cortland erzählt, in dem Haus in der First Street liege eine Leiche auf dem Dachboden. Jawohl, eine Leiche.«
    »Das hat Cortland Ihnen erzählt?«
    Sie nickte würdevoll. »Die arme Deirdre. Sie erzählt den Ärzten solche Sachen, und dann geben sie ihr eine Elektroschockbehandlung! Cortland glaubt auch, sie bildet sich das alles ein.« Sie schüttelte den Kopf. »Dieser Cortland. Er glaubt, daß es in dem Haus spukt und daß dort oben Geister sind, mit denen man sprechen kann. Aber eine Leiche auf dem Speicher? O nein, das glaubt er denn doch nicht!« Sie lachte leise und wurde dann sehr ernst. »Aber ich wette, es stimmt. Ich erinnere mich an eine Geschichte mit einem jungen Mann, der kurz vor Stellas Tod verschwand. Jahre später habe ich davon gehört. Dandrich hat es mir erzählt. Ein Texaner aus England, sagte Dandrich, der die Nacht mit Stella verbracht hatte und dann einfach verschwand. Ich kann Ihnen sagen, wer noch davon wußte. Amanda wußte es. Als wir uns das letztemal in New York trafen, redeten wir über die ganze Geschichte, und sie sagte: ›Und was ist mit dem Mann, der auf so seltsame Weise verschwunden ist?‹ Natürlich sah sie einen Zusammenhang mit Cornell – Sie wissen schon, der in seinem Hotelzimmer in der Stadt starb, nachdem er Carlotta besucht hatte. Ich sage Ihnen, sie vergiftet die Leute, und sie gehen nach Hause und sterben da. Es ist eine von diesen Chemikalien, die erst nach Stunden wirken. Dieser Texaner aus England war so was wie ein Historiker. Er kannte die Vergangenheit unserer Familie…«
    Plötzlich erkannte sie den Zusammenhang. Ich war auch ein Historiker aus England. Sie lachte. »Mr. Lightner, Sie sollten sich vorsehen!« sagte sie, und dann lehnte sie sich zurück und lachte nochmals leise vor sich hin.
    »Vermutlich haben Sie recht. Aber Sie glauben das alles nicht wirklich, oder, Miss Mayfair?«
    Sie überlegte einen Moment. »Einerseits ja, andererseits nein.« Wieder lachte sie. »Carlotta würde ich alles zutrauen. Aber um die Wahrheit zu sagen: Diese Frau ist zu langweilig, um wirklich jemanden zu vergiften. Aber ich habe daran gedacht! Ich habe daran gedacht, als Irwin Dandrich starb. Ich habe Irwin geliebt. Und er starb unmittelbar nach seinem Besuch bei Carlotta. Ich hoffe nur, daß Deirdre auf ihr College nach Texas geht. Und wenn Carlotta Sie zum Tee einlädt: Gehen Sie nicht hin!«
    Wir verabschiedeten uns an der Straßenecke; ich half ihr in ein Taxi. »Wenn Sie Cortland sehen«, sagte sie, »erzählen Sie ihm nicht, daß Sie mit mir gesprochen

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