Hexenstunde
Nächte vor dreißig Jahren zu denken, da ich in London im Bett gelegen und gedacht hatte: »Ich kann ihr nicht helfen, aber ich muß es doch versuchen. Aber wie kann ich wagen, irgend etwas zu unternehmen? Und wie könnte ich dabei Erfolg haben?«
Tatsache ist, daß ich wahrscheinlich überhaupt nichts hätte tun können, um Deirdre zu helfen, so sehr ich es auch versucht hätte. Wenn Cortland die Adoption nicht verhindern konnte, muß man vernünftigerweise annehmen, daß auch ich es nicht gekonnt hätte. Dennoch sehe ich in meinen Träumen vor mir, wie ich Deirdre aus dem Haus in der First Street nach London bringe. Und ich sehe sie heute als gesunde, normale Frau.
Die Realität sieht ganz und gar anders aus.
Am 7. November 1959 um fünf Uhr morgens gebar Deirdre ihre Tochter Rowan Mayfair, acht Pfund schwer, ein gesundes, hellhaariges kleines Mädchen. Als sie ein paar Stunden später aus der Narkose erwachte, fand Deirdre ihr Bett umringt von Ellie Mayfair, Pater Lafferty und Carlotta sowie zwei der Klinikschwestern, von denen Schwester Bridget Marie die ganze Szene später detailliert geschildert bekam.
Pater Lafferty hielt das Baby in den Armen. Er erklärte, er habe es soeben in der Kapelle des Mercy Hospitals auf den Namen Rowan Mayfair getauft, und er zeigte Deirdre den unterschriebenen Taufschein.
»Jetzt gib deinem Baby einen Kuß, Deirdre«, sagte der Priester, »und dann mußt du es Ellie geben. Ellie ist reisefertig.«
Deirdre gehorchte. Sie hatte darauf bestanden, daß das Kind den Namen Mayfair tragen müsse, und als diese Bedingung erfüllt war, ließ sie es gehen. Sie weinte so sehr, daß sie kaum etwas sehen konnte. Dann küßte sie das Baby und ließ es sich von Ellie Mayfair aus den Armen nehmen. Schließlich vergrub sie schluchzend das Gesicht im Kissen.
Mehr als zehn Jahre später erklärte Schwester Bridget Marie die Bedeutung von Rowans Namen.
»Carlotta war die Taufpatin des Kindes. Ich glaube, sie haben sich irgendeinen Arzt von der Station geholt, der als Pate einspringen mußte; so eilig hatten sie es mit der Taufe. Carlotta sagte zu Pater Lafferty, das Kind solle Rowan heißen, und Pater Lafferty sagte: ›Wissen Sie, Carlotta Mayfair, das ist aber kein Heiligenname. Das klingt in meinen Ohren eher wie ein heidnischer Name.‹
Und sie zu ihm auf ihre Art – Sie wissen ja, wie sie war – sie sagt: ›Pater, wissen Sie denn nicht, daß die Eberesche in Irland Rowan heißt und daß man sie dort benutzte, um Hexen und allerlei Böses abzuwehren? Es gibt keine Hütte in Irland, wo die Hausfrau nicht einen Ebereschenzweig über die Tür hängte, um die Familie vor Hexen und Hexereien zu schützen, und das hat auch in christlicher Zeit stets gegolten. Rowan soll der Name dieses Kindes sein!‹ Und Ellie Mayfair, kleinlaut, wie sie immer war, nickte bloß.«
»Stimmt das denn?« fragte ich. »Hat man in Irland wirklich Ebereschenzweige über die Tür gehängt?«
Ernst und würdevoll nickte Schwester Bridget Marie. »Und es hat ‘ne Menge geholfen!«
Wer ist der Vater Rowan Mayfairs?
Routinemäßige Blutgruppenuntersuchungen, die im Krankenhaus vorgenommen wurden, deuten darauf hin, daß die Blutgruppe des Babys mit der von Cortland Mayfair übereinstimmte. Man gestatte uns, hier noch einmal darauf hinzuweisen, daß Cortland auch der Vater von Stella Mayfair gewesen sein kann, und neue Informationen aus dem Bellevue Hospital haben endlich bestätigt, daß möglicherweise auch Antha Mayfair seine Tochter war.
Deirdre »wurde verrückt«, bevor sie das Mercy Hospital verließ. Die Schwestern sagten, sie habe stundenlang geweint und dann im leeren Zimmer geschrien: »Du hast ihn umgebracht!« Dann kam sie während der Messe in die Krankenhauskapelle geirrt und schrie: »Du hast ihn umgebracht! Du hast mich unter meinen Feinden allein zurückgelassen! Du hast mich verraten!« Man mußte sie gewaltsam hinausführen, und sie wurde schleunigst in die psychiatrische Klinik von St. Ann’s gebracht, wo sie am Ende des Monats zur Katatonikerin geworden war.
»Es war der unsichtbare Liebhaber«, glaubt Schwester Bridget Marie noch heute. »Sie hat ihn angeschrien und verflucht, wissen Sie, weil er ihren College-Professor getötet hatte. Das hatte er getan, der Teufel, weil er sie für sich allein haben wollte. Dieser verliebte Dämon – das war er nämlich: hier, mitten in der Großstadt New Orleans. Ging nachts in den Straßen des Garden District um.«
Das ist eine reizende und
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