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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schuldbewußtes an sich, wie er das alles mitten in dieser Tragödie bewunderte. Aber vor ihr brauchte er es nicht zu verbergen.
    »Das ist das Haus, nicht?« fragte sie. »Von dem du mir in Kalifornien erzählt hast.«
    Seine Augen richteten sich auf sie, sein Blick erfaßte sie.
    »Ja, das ist es.« Mit kurzem, traurigem Lächeln schüttelte er den Kopf. »Das ist es tatsächlich.« Er tippte seine Zigarettenasche in die offene Handfläche und ging dann langsam vom Tisch hinüber zum Kamin. Das schwere Wiegen seiner Hüften, die Bewegungen seines breiten Ledergürtels, das alles war über alle Maßen erotisch. Sie sah zu, wie er die Asche auf den leeren Kaminrost warf, die unsichtbaren kleinen Ascheflöckchen, die kein Mensch je bemerkt hätte, wenn er sie auf den staubigen Fußboden hätte wehen lassen.
    »Was soll das heißen: Mr. Lightner weiß, wer der Mann war?«
    Er sah unbehaglich aus. Äußerst sexy und äußerst unbehaglich. Er nahm einen Zug aus seiner Zigarette, schaute sich um und überlegte.
    »Lightner gehört einer Organisation an«, sagte er. Er wühlte in seiner Hemdtasche und zog dann eine kleine Karte hervor, die er auf den Tisch legte. »Sie nennen es einen Orden. Wie einen religiösen Orden, aber es ist keiner. Er heißt Talamasca.«
    Es fröstelte sie. »So eine Karte habe ich schon einmal gesehen. Er hat mir in Kalifornien eine gegeben. Hat er dir das erzählt? Ich bin ihm in Kalifornien begegnet.«
    Michael nickte voller Unbehagen. »An Ellies Grab.«
    »Wie ist das möglich? Daß du mit ihm befreundet bist, und daß er alles über diesen Toten auf dem Dachboden weiß? Ich bin müde, Michael. Ich habe das Gefühl, ich fange gleich an zu schreien und kann dann vielleicht nie wieder aufhören. Ich glaube, wenn du nicht anfängst, mir zu erzählen…« Sie brach ab und starrte kraftlos auf den Tisch. »Ich weiß nicht mehr, was ich da rede«, sagte sie.
    »Dieser Mann, Townsend«, sagte Michael zaghaft, »er war ein Mitglied des Ordens. Er kam 1929 her, um Kontakt mit der Familie Mayfair aufzunehmen.«
    »Warum?«
    »Sie hatten die Familie dreihundert Jahre lang beobachtet und ihre Geschichte zusammen getragen«, sagte er. »Es wird schwer für dich sein, das alles zu verstehen…«
    »Und durch einen bloßen Zufall ist dieser Mann dein Freund?«
    »Nein. Langsam. Nichts war Zufall. Ich habe ihn vor diesem Haus getroffen, am ersten Abend nach meiner Ankunft hier. Und ich hatte ihn in San Francisco gesehen – und du hast ihn auch gesehen, erinnere dich: Es war an dem Abend, als du mich abholtest, aber wir hielten ihn beide für einen Reporter. Ich hatte nie mit ihm gesprochen, und vor diesem Abend hatte ich ihn auch noch nie gesehen.«
    »Ich erinnere mich.«
    »Und dann war er da, hier vor dem Haus. Ich war betrunken. Ich hatte mich schon im Flugzeug betrunken. Du erinnerst dich: Ich hatte versprochen, es nicht zu tun, aber ich habe es doch getan. Na ja. Und dann kam ich hier her, und ich sah diesen… diesen anderen Mann im Garten. Nur, daß es kein wirklicher Mann war. Ich dachte, es wäre einer, und dann merkte ich, daß es keiner war. Ich hatte diesen Burschen schon als kleiner Junge gesehen. Ich hatte ihn jedesmal gesehen, wenn ich an diesem Haus vorübergekommen war. Ich habe dir davon erzählt, weißt du noch? Na, und was ich dir irgend wie erklären muß… er ist kein wirklicher Mann.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe ihn auch gesehen.« Ein elektrisierendes Gefühl durchzog sie. »Sprich weiter. Ich sag’s dir, wenn du aufhören sollst. Bitte.«
    Er sah sie beklommen an. Er war frustriert, besorgt. An den Kaminsims gelehnt, schaute er auf sie herunter, und das Licht aus der Diele beleuchtete die eine Hälfte seines Gesichtes. Es erweckte eine allumfassende Zärtlichkeit in ihr, zu sehen, wie beschützend sein Blick war, zu hören, wie sanft seine Stimme klang, und wie sehr er fürchtete, sie zu verletzen.
    »Erzähle mir den Rest«, sagte sie. »Verstehst du nicht – ich habe dir schreckliche Dinge zu erzählen, weil du der einzige bist, dem ich sie erzählen kann. Erzähle mir also deine Geschichte, denn tatsächlich machst du es mir damit nur leichter. Ich wußte nämlich nicht, wie ich dir erzählen sollte, daß ich diesen Mann gesehen habe. Ich habe ihn gesehen, als du gegangen warst, auf der Veranda in Tiburon. Ich habe ihn in dem Augenblick gesehen, als meine Mutter in New Orleans starb, und ich wußte da noch gar nicht, daß sie starb. Ich wußte überhaupt nichts von

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