Hexentraum
stark. Falls er weitere Fähigkeiten besaß, die an seine magnetische Ausstrahlungskraft heranreichten, besäße er wahrhaft gewaltige Macht. Es ist an der Zeit, herauszufinden, wem er dient.
Sie erhob sich und ging auf die Bühne zu. »Versteck mich vor aller Angesicht, wem ich begegne, der sehe mich nicht«, murmelte sie. Dann musste sie über sich selbst lächeln. Seit sie zur Hohepriesterin geworden war, brauchte sie ihre Zauber nicht mehr laut zu sprechen. Der Aufruhr im Zirkel machte ihr wohl mehr zu schaffen, als ihr bewusst gewesen war.
Sie betrat die Bühne, schlüpfte hinter den Vorhang und ging an Bühnenarbeitern vorbei, die schon für die Vorstellung am nächsten Abend aufräumten. Als sie an einer der Garderoben vorbeiglitt, blickte die Schauspielerin, die Carlotta darstellte, argwöhnisch auf. Sie ist eine Hexe, und sie kann mich spüren. Sie ist zu Recht besorgt - sie hat eine Menge zu verbergen. Eine köstliche Ironie, dass die Darstellerin der Primadonna, die das Phantom so verabscheute, in Wahrheit nicht gut singen konnte. Sie verzauberte ihre Stimme, so dass sie passabel klang. Luna hielt kurz inne, als ihr ein neuer Gedanke kam: Oder vielleicht hat jemand ihre Stimme für sie verzaubert.
Sie ging weiter, denn die Frau war es nicht, die sie suchte. Als sie vor einer der Männergarderoben stehen blieb, wartete Alex schon auf sie. Er stand von seinem Stuhl auf und kam auf sie zu. Nur er konnte sie sehen, für die anderen blieb sie unsichtbar. Begleite mich.
Sie ging neben ihm her. Nach ein paar Schritten hatten sie seine private Garderobe erreicht. Sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war, ließ sie den Unsichtbarkeitszauber fallen, damit er sie deutlich sehen konnte.
Er war groß, etwas über einen Meter achtzig. Er hatte hellblondes Haar und blaue Augen, die vor Energie sprühten. Er sieht überhaupt nicht aus wie ein Cahors, und doch fühle ich ihr Blut in seinen Adern. Äußerlich mochte er keine Ähnlichkeit mit den anderen seines Hauses haben, aber die magische Ausstrahlung war unverkennbar.
Er setzte sich und bedeutete auch ihr, Platz zu nehmen. Sie ließ sich nieder und begann, seinen Geist zu erforschen, so wie er ihren erkundete. Sie öffnete ihm bereitwillig Bereiche, die sie ihm zeigen wollte, und verstärkte ihre Barrieren um die Dinge, die er nicht sehen sollte. Er machte es genauso, und sie tänzelten vor und zurück, stießen in den Geist des jeweils anderen vor und parierten dessen Vorstöße.
Schließlich vereinbarten sie einen Waffenstillstand, und das gerade noch rechtzeitig. Er hatte ihre Schutzschilde beinahe niedergerissen. Bei der Göttin, wie stark er ist!
»Warum bist du gekommen?«, fragte er schlicht.
»Um dich zu sehen.«
»Wem dienst du?«, fragte er.
»Ich gehöre der Göttin. Ich bin Luna, die Hohepriesterin des Mutterzirkels.« Sie reckte das Kinn. »Und du?«
»Ich bin Alex Carruthers vom Zirkel der Luft. Auch ich diene der Göttin.«
Sie musterte ihn mit schmalen Augen. Aus irgendeinem Grund glaubte sie nicht, dass das stimmte. Es fühlte sich so an, als sei das nicht die erste Antwort gewesen, die ihm in den Sinn gekommen war. Sie blickte sich in dem Raum um. An einem Türhaken hing ein Gewand aus dunkelblauer Seide mit einem großen Mond auf dem Rücken. Eine kleine Statue der Aphrodite stand auf dem Schminktisch. Abgesehen davon enthielt das Zimmer keine magischen Symbole.
Sie zwang sich, sich ein wenig zu entspannen. Das sind beides Symbole der Göttin. Wenn er keine förmliche Ausbildung in der Hexerei erhalten hat, könnte er sie auf etwas abgewandelte Art verehren. Vielleicht ist es das, was mich stört.
Sie lächelte grimmig. So, wie die Göttin viele Gestalten hatte, gab es auch vielerlei Arten, sie anzubeten, und verschiedene Kulturen fanden verschiedene Wege zu ihr. Letzten Endes waren die Gemeinsamkeiten aber größer als die Unterschiede, und sie verehrten dasselbe Wesen. Das ist wie bei den Protestanten, die darüber streiten, ob sie nun Lutheraner oder Methodisten sind.
Alex lächelte sie entwaffnend an. »Ich glaube, wir beten zu derselben Herrin?«
Sie nickte. »Die anderen in der Truppe - sind sie dein Coven?«
»Einige von ihnen«, antwortete er. »Wir, die den Künsten angehören, müssen zusammenhalten.«
»Und die Schauspielerin, die Carlotta darstellt - hast du ihre Stimme verzaubert?«
Er seufzte frustriert. »Ja. Sie ist eine wunderbare Schauspielerin und war immer wie eine Tante für mich. Sie kann nur nicht
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