Hexentraum
Grund, Holly zu fürchten.
Die junge Hexe hatte ihr vom ersten Augenblick an Angst gemacht. Sie besaß zu viel Macht, vor allem für jemanden, der noch so jung an Jahren und so neu in den Künsten war. Ihre ganze Familie ist so. Anne-Louise selbst hatte jahrelang lernen und hart arbeiten müssen, um auch nur ein paar der einfachsten Zauber zu beherrschen, mit Ausnahme von Bannen. Schutzbanne waren ihre Spezialität - ihre »Gabe«, wie die Hohepriesterin das nannte. Jede Hexe besaß eine besondere Begabung, einen Bereich, in dem sie Herausragendes vollbrachte. Was Holly so gefährlich machte, war, dass sie alles herausragend beherrschte und sich keinerlei Disziplin hatte unterwerfen müssen, um all das zu lernen.
Die Bäume ächzten, als der Wind auffrischte, und Anne-Louise blickte sich beklommen um. Ja, es kommt etwas, dachte sie. Und wenn es uns erreicht, werden wir alle in größten Schwierigkeiten stecken.
Nicole: Avalon
Nicole zitterte. »Wer ist da?«, rief sie.
Leises, höhnisches Gelächter war die einzige Antwort.
Sie nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, eine Andeutung von etwas, das nicht ganz da war. Sie wandte den Kopf, und es war weg. »Göttin?«, flüsterte sie. Sie betete darum, dass es ihre Göttin sein möge, obwohl sie schon wusste, dass sie es nicht war.
»Nein.«
Sie riss den Kopf wieder in die Richtung herum, aus der die Stimme kam, aber da war nichts. »Seid Ihr der Gehörnte Gott?«, fragte sie und schluckte gegen einen Kloß in ihrer Kehle an.
Wieder dieses Lachen. »Nein.«
»Wer oder was bist du dann?«, fragte sie forsch, obwohl ihr der eigene Herzschlag in den Ohren dröhnte.
»Etwas, das du nicht verstehen kannst!«, brüllte es, und dann war es plötzlich auf ihr, presste sich an sie, bewegte sich durch sie hindurch.
»Und jetzt - bin ich nicht länger allein.«
Als es sich mit ihrem Geist vermischte, fühlte sie etwas Böses, uralt und geheimnisvoll. Sie fühlte Wut, Lust und Tücke. Und da war noch etwas ...
... zwei Geister.
Kari: Kalifornien
Kari raste die Interstate 5 entlang und ließ das Örtchen Winters hinter sich zurück, so schnell sie konnte. »Na los, na los!«, rief sie und drückte auf die Hupe. Sie überholte den Wagen vor ihr, trat aufs Gas und warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett.
Jeden Moment würden die anderen merken, dass sie weg war, dass sie nicht zurückkehren würde. Sie musste so weit wie möglich von ihnen fortkommen, ehe die anderen Pablo wie einen Bluthund auf sie ansetzten - oder, schlimmer noch, diesen mysteriösen neuen Cousin, Alex.
Sie hatten sich alle gemeinsam in der Ferienhütte ihrer Familie in der Nähe von Winters versteckt, ganz in der Nähe der Universitätsstadt Davis. Während sich die anderen an Alex gewöhnten und ihre magischen und sonstigen Vorbereitungen für den Abend trafen, hatte Kari sich erboten, einkaufen zu gehen. Wundersamerweise hatten sie ihr erlaubt, allein loszufahren.
Sie war an dem kleinen Supermarkt vorbeigefahren und weiter den Freeway entlang, so schnell sie konnte. Ich packe das nicht mehr. Ich habe es satt, nur darauf zu warten, dass auch ich getötet werde wie die anderen. Und Alex... Alex macht mir solche Angst.
Sie wusste nicht, warum, aber er hatte irgendetwas an sich, das sie beunruhigte. Sie trat noch fester aufs Gaspedal. Sie musste sich sammeln, sie musste nachdenken. Doch sie hatte das scheußliche Gefühl, dass sie, selbst wenn sie dem Coven entkommen konnte, nirgends sicher sein würde. In ihren finsteren Gedanken leuchtete schwach eine hoffnungsvolle Idee auf.
Was, wenn ich die beiden Seiten dazu bringen könnte, den Kampf zu beenden? Was, wenn ich sie zu einem Waffenstillstand bewegen könnte? Es muss doch eine Möglichkeit geben, wie wir in Frieden miteinander leben können.
Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen. Jer hatte ihr einmal erzählt, dass sein Vater ein Haus in der Wüste hatte, eine Art spirituellen Zufluchtsort. In New Mexico. Wenn die anderen schon nicht auf mich hören wollen, wird er mir vielleicht zuhören.
Nicole: Avalon
Nicole wachte auf und übergab sich. Sie versuchte, sich auf die Seite zu rollen, doch die Ketten, die noch immer ihre Fußknöchel und das linke Handgelenk fesselten, ließen es nicht zu.
Hinter sich hörte sie eine vertraute, verhasste Stimme. »Du siehst grässlich aus.«
James! Sie wandte langsam den Kopf und starrte ihn an. »Was ist auf dieser Insel?«
»Wie bitte?«, fragte er verwirrt.
»Du hast mich schon
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