Hexenzorn
Bier in sich hinein, und, ja, sie
fühlte sich fast wie in Felport im dunkelsten Teil des Stadtkerns, wo sie alleine in einem Mietshaus wohnte, das ohne ihr magisches Engagement längst der Hölle anheimgefallen wäre. Dies hier war eine Gegend, in der sich die weniger kultivierten Bedürfnisse schnell befriedigen ließen, wo Sex, Alkohol und Drogen nur ein paar Geldscheine weit entfernt waren, wo sich aus Wollen schnell Haben machen ließ. In jeder Stadt gab es Orte wie diesen, auch wenn manche große Anstrengungen unternahmen, um sie zu verbergen. Marla gefiel es hier. Sie verstand die Logik und die gewalttätige Schönheit des Ortes. Es war ein Ort einfacher Bestrebungen. Marla hatte das Gefühl, sie würde mit der Magierin, die diese Gegend zu ihrer Heimat erwählt hatte, gut auskommen.
»Hier ist es ja fast wie zuhause«, sagte Rondeau und blickte auf ein Schild, auf dem ›Mädchen! Live! Nackt!‹ geschrieben stand.
»Außer dass einige der Stripclubs hier von den Angestellten selbst geführt werden«, sagte B. an einen Laternenmasten gelehnt. Er hatte dunkle Augenringe, und Marla fragte sich, ob er die Nacht davor überhaupt geschlafen hatte oder ob er immer so verbraucht aussah. Wahrscheinlich Zweiteres, dachte Marla. Es musste schwierig sein, halb normal und halb Magier zu sein. Chimären beispielsweise hatten eine sehr kurze Lebenserwartung. Wenn man mehr als eine Wesensart in sich vereinigte, konnte einen das leicht zerreißen.
»Und wohin jetzt?«, fragte B. »Ins dunkle, brandige, nach Pisse stinkende Herz von Tenderloin, wo die Verdammten und die Studenten ohne Geld wohnen?«
Marla holte den Ausdruck heraus, den ihr einer der
Daltons gegeben hatte. »Sieht so aus, als ob diese Magierin, Bethany, im Bahnhof lebt.«
»Wo?«, fragte B.
»Tenderloin Station«, sagte Marla. »Irgendwo unter uns, steht hier.«
»Da hat Sie jemand verarscht«, sagte B. »Es gibt keine Tenderloin Station. Hier fahren keine Züge. Vielleicht gibt es irgendwo eine Bushaltestelle …«
»Hier steht die Adresse«, sagte Marla. »Oder zumindest eine Straßenecke. Wir werden es schon finden.« Sie ging einen Schritt auf die Kreuzung zu, blieb kurz stehen, machte auf dem Absatz kehrt, blieb wieder stehen und schnaubte genervt.
»Ach ja«, sagte Rondeau und zog eine Straßenkarte heraus. »Marla mag es nicht, wenn sie keinen Überblick hat«, erklärte er B. so laut, dass Marla es ebenfalls hören konnte. »Und manchmal reagiere selbst ich mit meinen übersinnlichen Fähigkeiten nicht schnell genug, wenn es darum geht, ihr ein bisschen die Richtung zu weisen.«
Marla stand murmelnd über den Stadtplan gebeugt, den Rondeau vor ihr ausgebreitet hielt, und fuhr mit dem Finger die Straßen nach.
»Warum haben Sie dem Taxifahrer nicht einfach gesagt, dass er uns an der richtigen Ecke absetzen soll?«, fragte B.
»Weil mein Hang zur Diskretion keine bloße Gewohnheit ist, sondern ein kategorischer Imperativ«, antwortete Marla. »In meiner Stadt erstattet jeder Taxifahrer jemandem Bericht, oft ohne es selbst überhaupt zu wissen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich hier grundlegend anders verhält. Im Moment macht es zwar wahrscheinlich keinen Unterschied, ob jemand meine Bewegungen verfolgt, aber
ich bin der Meinung, dass es immer am besten ist, sich so zu verhalten, als stünden die Dinge so schlimm, wie sie nur irgend sein können. Auf diese Weise erlebt man, wenn überhaupt, nur positive Überraschungen. Deshalb habe ich dem Taxifahrer einfach irgendeine Straße genannt, die auf der Wegbeschreibung erwähnt war. Und jetzt überlege ich, in welche Richtung wir gehen müssen. Nämlich … in diese.« Sie deutete eine Straße entlang und ging los, B. folgte mit Rondeau, der unterdessen damit beschäftigt war, den Stadtplan in eine winzig kleine Hülle zu stopfen, die vermutlich besonders praktisch sein sollte.
Sie kamen an Spirituosenläden mit metallenen Gitterrosten vor den Schaufenstern vorbei, an Peepshows und unzähligen Pfandleihhäusern, an Obdachlosen, die nicht einmal mehr bettelten, an riesigen Müllhaufen, Bergen von Glasscherben und Zigarettenkippen sowie Gassen, die nach Wein und Urin rochen. Schließlich kamen sie an die Ecke, die in Daltons Wegbeschreibung angegeben war. Der Platz wurde von einem ausgebrannten Gebäude, dem verblassten Schriftzug nach zu urteilen einem ehemaligen Hotel, überragt. Die Wände waren noch intakt, aber die Türen und Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock waren mit
Weitere Kostenlose Bücher