Hexer-Edition 13: Ein Gigant erwacht
Lager auseinander und die hagere Gestalt Lancelot Postlethwaites erschien unter der Öffnung, einen langläufigen Karabiner in den sehnigen Händen.
In der atemlosen Stille klang das Klatschen des Zeltstoffes wie ein Schuss. Unsere Köpfe ruckten herum und Postlethwaite konnte dem Himmel danken, dass keiner der Männer die Nerven verlor und einfach auf alles feuerte, was sich bewegte.
Der Gelehrte stolperte noch einige Schritte weiter, von der plötzlichen Helligkeit geblendet, und blieb dann wie erstarrt stehen.
Erst glaubte ich, unsere Waffen, so unerwartet auf ihn gerichtet, hätten ihn erschreckt.
Dann spürte ich, dass etwas anderes der Grund war. Postlethwaites Augen weiteten sich vor Entsetzen und binnen Sekunden war sein gesunder, braun gebrannter Teint aschfahl geworden. Das Gewehr entfiel seinen Händen, als er schreckensbleich zurücktaumelte, den Arm hob und zum Ende der Schlucht deutete.
Ich fuhr herum – und wusste nach einem furchtbaren Augenblick der Erkenntnis, woher die entsetzlichen Schreie gekommen waren.
Ein Mann erschien zwischen den Felsen, schwankte einige Schritte auf das Lager zu und brach mit einem keuchenden Laut in die Knie. Obwohl ich ihm näher stand als alle anderen, nur knapp fünfzehn Yards entfernt, brauchte ich Sekunden, bis ich ihn erkannte.
Es war der indianische Posten.
Shadow wandte sich mit einem halb erstickten Schrei ab. Mein Magen rebellierte bei dem schrecklichen Anblick, doch ich glaube, ich war einfach zu entsetzt, um noch zu einer anderen Reaktion fähig zu sein als der, dazustehen und zu starren.
Der Mann hätte längst tot sein müssen: Sein Körper war von Wunden übersät, seine rechte Hand und die Schultern fehlten ganz und das Gesicht war eine einzige rot glänzende Fläche. Gott allein wusste, was diesen Krieger noch am Leben erhielt.
Wieder stieß er einen kaum mehr menschlichen Schrei aus, versuchte in einer letzten verzweifelten Bewegung, sich nochmals auf die Füße zu erheben – und brach vollends zusammen. Er musste schon tot sein, noch bevor sein geschundenes, entstelltes Gesicht den heißen Sand berührte.
Und noch immer war von einem Angreifer nicht die geringste Spur zu sehen. Nach der endlosen Sekunde des Schreckens kam Leben in die Männer im Lager. Einige der Indianer lösten sich zaghaft aus der Gruppe und näherten sich dem Toten; vorsichtig und nach allen Seiten sichernd.
Ich riss meinen Blick von dem schrecklichen Bild los, wandte mich zu Shadow um – und starrte auf eine nackte Felswand!
Wo vor Sekunden noch Shadow gestanden hatte, war nun nichts mehr. Deutlich konnte ich die Abdrücke ihrer nackten Füße im Sand erkennen; Spuren, die seltsam verwischt aussahen, als wäre sie plötzlich aus dem Stand nach hinten gerissen worden. Shadow selbst war verschwunden – wie vom Erdboden verschluckt …
Für einen Moment vergaß ich sogar den Toten in meinem Rücken, als mich die Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf. Deutlich spürte ich eine Präsenz, die ich nur zu gut kannte: Magie. Der düstere, kalte Hauch lag förmlich in der Luft, aber noch während ich geistesgegenwärtig danach greifen wollte, um seinen Ursprung zu ergründen, verblasste er schon wieder. Zurück blieb nur ein vages Gefühl der Gefahr.
Es war, dachte ich mit Schaudern, als hätte sich eine unsichtbare Tür kurz geöffnet, als hätte etwas mit aller Hast in die Wirklichkeit hinausgegriffen, um das Tor gleich wieder hinter sich ins Schloss zu werfen.
Und Shadow mit sich zu nehmen!
Ich kniete nieder, berührte ihre Spuren mit den Fingerspitzen und verstärkte meine Bemühungen, der magischen Quelle auf die Spur zu kommen, aber es war zu spät. Der Hauch des Bösen, den ich eben noch gespürt hatte, war verflogen.
Dafür entdeckte ich etwas anderes.
Der Fetzen lag halb verdeckt im Sand, gleich hinter Shadows Fußspuren. Ein ehemals wohl weißes Stück Stoff, seltsam steif und in sich verdreht.
Und von Blut getränkt.
Eine eiskalte Hand umschloss mein Herz und presste es zusammen. Hastig griff ich nach dem Fetzen – und atmete auf. Es konnte nicht Shadows Blut sein. Der Stoff war hart wie Papier, das Blut eingetrocknet und spröde. Als meine Finger den Stoff berührten, löste es sich wie rostige Flecken und rieselte zu Boden.
Und als ich das Tuch aufnahm und in den Händen drehte, zerstob es unter meinen Fingern zu feinem Staub. Es musste alt sein; uralt …
»Robert!« Ein lauter Ruf riss mich aus meinen Gedanken. Ich fuhr herum.
Bill stand bei der
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