Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
George. Sie funktioniert einwandfrei. Wenn Sie bei all Ihren Reisen nur noch auf Welten stoßen, in denen die GROSSEN ALTEN die Herrschaft übernommen haben, so liegt das daran, dass genau das immer wahrscheinlicher wird. Sehen Sie, ich glaube, dass die Zeit nur in der Vergangenheit festgeschrieben ist. Die Gegenwart ist eine Art Knotenpunkt, von dem Millionen und Abermillionen verschiedener Stränge abzweigen. Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, mit allem, was wir tun oder sagen oder auch nicht tun, verschwindet eine dieser möglichen Zukünfte, bis nur noch ein einziger Strang übrig bleibt, den wir Vergangenheit nennen, das, was wirklich geschehen ist.«
George erbleichte. Seine Augen weiteten sich und Howard wusste, er hatte begriffen, was er meinte. »Aber wenn es … wenn es nur noch diese eine mögliche Zukunft gibt«, flüsterte er, »dann bedeutet das, dass wir keine Chance mehr haben. Dass sie uns besiegen werden, ganz gleich, was wir tun.«
»Ich fürchte, ja«, flüsterte Howard. Auch seine Stimme drohte zu versagen. Der Gedanke, dass er Recht haben könnte, war einfach unerträglich.
»Dann war alles umsonst«, murmelte George. »Sie waren unsere letzte Hoffnung, Howard. Aber ich fürchte, nun sind Sie gerade noch zurechtgekommen, um den Untergang der menschlichen Zivilisation mitzuerleben.«
Es war, als hätte die Zeit den Atem angehalten. Das Meer war glatt wie ein Spiegel. Nicht die winzigste Welle kräuselte seine Oberfläche, die sich wie eine Ebene aus schwarzem Teer rings um uns erstreckte. Es war vollkommen windstill und das Schweigen hatte eine Intensität angenommen, die es fast zu etwas Greifbarem werden ließ. Das Boot bewegte sich wie von Geisterhand gezogen auf die Stadt zu, doch obwohl diese Bewegung sehr schnell war, verursachte auch sie nicht den mindesten Laut.
Ich saß im Heck des kleinen Schiffchens und beobachtete abwechselnd Crowley, Joshua und die Albtraumstadt, die sich vor dem Horizont im Osten auftürmte wie ein Gebilde aus schwarzer, zu bizarren Formen erstarrter Lava. Obwohl der Mond noch immer beinahe voll war, war sie nur in Umrissen zu erkennen, als wäre sie tatsächlich nicht mehr als ein Schatten; ein titanisches schwarzes Loch von albtraumhaften Konturen, das in die Wirklichkeit hineingestanzt worden war. Und doch reichte bereits der Anblick dieses Schemens aus, mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Ich hielt es niemals länger als einige Sekunden aus ihn anzusehen, ehe ich mich wieder zu Crowley oder dem Jungen umwandte.
Doch auch Joshuas Anblick erfüllte mich mit einer, zwar vollkommen anderen, trotzdem aber ebenso intensiven Furcht. Das Gesicht des Jungen leuchtete vor Freude. Sein Blick war starr auf die Stadt gerichtet und auf seinen Zügen lag ein so entrückter, seliger Ausdruck, dass mir ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Er hockte auf der Kiste, die im vorderen Teil des Bootes stand, und seine Finger strichen immer wieder beinahe liebkosend über das raue Holz, als enthielte sie einen Schatz von unvorstellbarem Wert. Ich fragte mich, was wirklich darin sein mochte. Gleichzeitig wollte ich es gar nicht wissen.
Die Stadt kam nur langsam näher. Das Boot bewegte sich sehr schnell, doch R’lyeh musste sehr viel weiter entfernt sein, als ich im Moment ihres Auftauchens geglaubt hatte; und somit sehr viel größer. Ich empfand eine Furcht wie niemals zuvor im Leben. Während der letzten Tage und Wochen hatte ich die Angst im Übermaß kennen gelernt und ich hatte geglaubt – gehofft –, dass sich dieses Gefühl irgendwann einmal bessern würde; und sei es nur, dass es sich einfach abnutzte. Das Gegenteil war der Fall. Und es lag nicht nur an der Angst vor dem, was mich erwarten mochte. Es war der Anblick der SCHWARZEN STADT selbst, der etwas in mir berührte und aufschreien ließ, und es war eine Angst, die vollkommen unabhängig von dem war, was mich erwarten mochte. Diese Stadt und ihre Bewohner verkörperten alles, was Menschen jemals gefürchtet hatten, waren die Essenz alles Bösen, jeder Angst, jedes Quäntchens negativer Energie, das es auf dieser Welt gab. Zweihundert Millionen Jahre lang hatte sie auf dem Grund des Ozeans gelegen und auf den Moment ihres Erwachens gewartet, doch selbst diese unvorstellbar lange Zeit hatte ihr nichts von ihrer finsteren Ausstrahlung nehmen können.
Die Fahrt dauerte endlos. Der Strand war längst außer Sichtweite gekommen, sodass ich das Gefühl hatte, wir befänden uns auf hoher See, nicht
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