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Heyne Galaxy 11

Heyne Galaxy 11

Titel: Heyne Galaxy 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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so plötzlich gekommen?
    »Meine Rente…«, sagte die alte Frau und reichte ihm mit zitternder Hand ein abgenutztes und zerrissenes Rentenbuch. »Sie wollen mir mein Geld nicht zahlen…«
    »Wenn Ihnen Geld zusteht, werden Sie es selbstverständlich bekommen!« sagte Howards und blätterte in dem alten Buch – mit spitzen Fingern, um sich nicht schmutzig zu machen. Als er auf eine fast ganz herausgerissene Seite stieß, sagte er: »Ah, da haben wir den Grund, meine Dame! Hier fehlt eine Seite. Damit ich Ihnen das Geld auszahlen kann, müßten Sie sich Vordruck 925/ik(43) der Post-Vorschriften besorgen und ausfüllen.«
    »Hier ist er«, sagte die Frau, holte ein Stück Papier aus ihrer Handtasche, das fast noch älter und zerrissener war als ihr Rentenbuch, und warf es förmlich hin. Howards hoffte, daß er sich seine Gefühle nicht anmerken ließ, als er sich abwandte und den Vordruck studierte.
    »Das ist zwar das richtige Formular, meine Dame, aber Sie haben es nicht vollständig ausgefüllt. In diesem Kästchen fehlt noch die Versicherungsnummer Ihres verstorbenen Mannes.«
    »Ich kenne seine Nummer nicht!« kreischte die Frau und klammerte sich an den Schalter. »Er ist tot, und seine Papiere sind mir abhanden gekommen, verstehen Sie?«
    »In diesem Fall müßten Sie sich den Vordruck 276/po(67) besorgen und damit bei der zuständigen Amtsstelle die Bekanntgabe der Versicherungsnummer Ihres Mannes beantragen.« Er zwang sich zu einem Lächeln und schob die Papierfetzen wieder über den Tresen. »Und dieses Formular ist zu beantragen in Zimmer…«
    »Bis dahin bin ich schon tot!« kreischte die alte Frau und warf ihre Papiere in die Luft, so daß sie wie verdrecktes Konfetti zu Boden flatterten. »Ich habe seit einer Woche nichts gegessen! Ich will Gerechtigkeit! Ich brauche Geld, um mir etwas zu essen zu kaufen!«
    Howards fand die Szene ekelerregend. »Ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen helfen, meine Dame, aber dazu fehlt mir die Vollmacht. Sie sollten die erforderlichen Formulare bei der zuständigen Härtestelle beantragen und …»
    »Das überlebe ich nicht!« schrie sie heiser und beugte sich vor, so daß er ihren unangenehmen Atem riechen konnte. Schnell trat er einen Schritt zurück. »Haben Sie denn kein Mitleid mit einer alten Frau? Ich könnte glatt Ihre Mutter sein!«
    »Zum Glück sind Sie es nicht! Meine Mutter hat Ihre Papiere beisammen!«
    »Papiere!« Ihre Stimme überschlug sich. »Ihnen liegt mehr an toten Formularen als an einem Menschenleben! Ich habe geschworen, daß ich mich umbringe, wenn ich heute kein Geld bekomme! Retten Sie mich!«
    »Bitte drohen Sie mir nicht! Ich habe getan, was ich konnte.«
    Hatte er das wirklich? Gab es vielleicht doch eine Möglichkeit, direkt über seinen Vorgesetzten etwas zu erreichen? Handelte er richtig?
    »Lieber schnell sterben als langsam verhungern! Geld her – oder ich bringe mich um!«
    Sie hatte plötzlich ein großes Brotmesser in der Hand und fuchtelte ihm damit vor der Nase herum. Fiel so etwas bereits unter den Bedrohungsparagraphen? Durfte er nach den Wachen klingeln?
    »Es geht nicht!« keuchte Howards. Seine Finger zitterten in qualvoller Unentschlossenheit über den Tasten. Wen sollte er rufen? Die Wachen? Den Arzt? Oder gar die Polizei?
    »Dann will ich sterben, und ich bin froh, daß ich diese Welt verlassen kann!«
    Sie legte ihre linke Hand mit der Handfläche nach oben auf den Schalter und schnitt sich ins Handgelenk.
    Das Blut spritzte.
    »Was tun Sie da?« schrie Howards und sprang vor. Die Frau begann zu schreien.
    »Die Vorschriften!« keuchte er. »Sie verschmieren mir meine Vorschriften! Das dürfen Sie nicht!« Er zog das Buch zur Seite und begann es mit dem Taschentuch zu bearbeiten, als ihm plötzlich einfiel, daß er noch keine Hilfe herbeigerufen hatte. Er zögerte unentschlossen, schob die Vorschriften in die Ecke und kehrte an seinen Platz zurück. Alles war voller Blut – hatte er keinen Fehler gemacht?
    Die Frau war zu Boden gesunken; sie stöhnte noch.
    »Einen Arzt!« sagte er ins Mikrophon. »Schnell! Einen Arzt zur Ersten Hilfe!«
    Konnte er etwas für sie tun? Aber er durfte seinen Platz nicht verlassen! Und überall war Blut – an seinen Händen, auf seinem Hemd. Entsetzt streckte er die Hände aus. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht so viel Blut gesehen.
    Und pünktlich um neun Uhr öffnete das Postamt seine Pforten. Ein ganz gewöhnlicher Tag, der sich durch nichts von zahlreichen anderen

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