Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
zweites Mal. Ärgerlich blicke ich es an. Wie soll ich denn so zu einer Antwort auf meine drängende Frage kommen?
Nach dem dritten Klingeln greife ich nach dem Hörer.
»Ja, bitte?«, frage ich gereizt.
»Na, na! Das ist aber auch nicht die korrekte Art, sich als Mitarbeiterin des Ordnungsamtes zu melden!«, tadelt mich Niklas scherzhaft. »Wo doch die Dienstzeit längst angebrochen ist.«
Ich höre mich lachen.
»Niklas?«, frage ich fasziniert von seinem Timing – vielleicht sollte ich die Gelegenheit gleich beim Schopf packen und ihm von dem Unbehagen erzählen, das nach unserem Telefonat so heftig an mir genagt hat?
»Scherz beiseite!«, verkündet Niklas. »Ich rufe noch mal an, weil ich eben den Eindruck hatte, dich überrumpelt zu haben, Iris.«
Ich atme durch. Wie gut, dass er es selber gemerkt hat! Jetzt brauche ich es nur noch zu bestätigen. Und er kann nicht mal beleidigt sein.
Oder doch?
»Überrumpelt?«, beginne ich zögerlich.
»Ja. Ich weiß natürlich, es ist viel verlangt, gleich bei unserer ersten Verabredung meine Familie kennenzulernen«, sagt Niklas sanft. »Es ist etwas ungewöhnlich … vielleicht sogar merkwürdig. Aus deiner Sicht.«
Genau.
Sehr viel verlangt sogar. Und sehr merkwürdig.
»Ach, ich weiß nicht«, sage ich. »Vielleicht schon. Ein wenig.«
»Hm«, macht Niklas betrübt.
Irgendwie finde ich sein Ansinnen mit einmal nicht mehr ganz so merkwürdig – jetzt, wo er zugibt, dass es merkwürdig ist. Richtig merkwürdig wäre es doch nur, wenn er es nicht einsehen würde. Nicht wahr?
»Ich finde es toll, dass du dir solche Gedanken machst. Natürlich wäre mir ein Treffen mit dir alleine lieber …«
Ich warte und hoffe, dass er nun sagt, ihm auch. Und wir den Sonntag zu zweit verbringen.
»Ich verstehe dich gut«, sagt er nur.
Und weiter?
Jetzt wartet er anscheinend.
Okay, mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu sagen, was ich will.
»Ich möchte grundsätzlich sehr gerne deine Eltern kennenlernen, Niklas. Und deine Schwester«, beginne ich, um ihn schonend darauf vorzubereiten, dass ich das aber eher mittelfristig wünsche.
»Das freut mich so sehr, Iris. So sehr«, unterbricht er mich in einem Ton, der plötzlich Schwerwiegendes verheißt. »Denn es gibt einen Grund für meine Eile.«
»Ja?«
»Ja. Leider«, antwortet er ernst. »Viel lieber würde ich uns Zeit lassen. Schließlich haben wir bisher nichts außer einem einzigen Abend, der uns verbindet. Also wirklich kaum etwas.«
»Ja«, muss ich zustimmen. Auch wenn dieser Abend für mich der aufregendste meines Lebens war.
»Und obwohl es nur ein einziger Abend ist …, bist du bereits jemand Besonderes für mich, Iris«, sagt Niklas leise. »Jemand ganz Besonderes.«
Mir wird herrlich warm.
»Ja«, sage ich und weiß nicht genau, wozu.
»Und deshalb möchte ich, dass du meine Familie kennenlernst. Insbesondere meine Mutter«, sagt Niklas. »Bevor es zu spät ist.«
»Zu spät?«
Meine Güte. Wofür?
Die herrliche Wärme verpufft im Nu.
»Sie ist sehr krank, Iris«, sagt Niklas. »Sie wäre so froh zu sehen, dass ich eine Frau wie dich kennengelernt habe. So froh, noch zu erleben, dass ich langsam über meine tiefe Niedergeschlagenheit wegkomme.« Niklas macht eine kleine Pause, und kurz habe ich den Eindruck, er kämpft mit den Tränen. »Du bist der erste Hoffnungsschimmer in meinem Leben, seitdem Gesine mich verlassen hat, Iris …«
Der arme Niklas. Seine arme, arme Mutter.
Und ich Glückliche.
Ja, auch wenn es unter diesen Umständen ganz und gar schändlich ist, überkommt mich bei Niklas’ Worten das erhebende Gefühl, gewollt und geschätzt zu werden.
Ich weiß jetzt ganz genau, was ich tun werde.
»Mach dir bitte keine weiteren Gedanken, Niklas«, sage ich voller Anteilnahme. Und im Bewusstsein, ausgerechnet für diesen geplagten Menschen jemand ganz Besonderes zu sein. »Ich freue mich, wenn ich dir helfen kann. So wie du mir gestern geholfen hast.«
»Ich wusste es!«, stößt Niklas erleichtert hervor. »Genau das habe ich von dir erwartet, Iris. Ich wusste, du bist eine verdammt anständige Person. Ein feiner Mensch.« Er hält kurz inne. »Und eine äußerst anziehende Frau«, fügt er mit verlegener Stimme hinzu.
Zum Glück kann Niklas nicht sehen, dass ich über beide Ohren rot werde. Was für wunderbare Komplimente!
»Ach, was!«, sage ich überwältigt. »Ist doch selbstverständlich, jemanden in deiner Lage zu unterstützen.«
Jemanden in deiner Lage.
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