Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
richtigen Weg zu bringen. Irgendwann musste der arme Junge dann einsehen, dass sie ein hoffnungsloser Fall ist! Eine Person ohne Herzensbildung.«
Ein Schauer überläuft mich.
Was um Himmels willen hat Niklas denn alles angestellt, um Gesine auf den richtigen Weg zu bringen? Isolde lässt das so schrecklich dramatisch klingen!
»Hm«, sage ich vorsichtig.
Isolde sieht mich prüfend an.
Was will sie rausfinden? Ob ich die richtige Einstellung zu dieser nebulösen Tugend habe?
Nadine wirft mir einen gespannten Blick zu und greift sich einen Rosenkohl.
Am liebsten hätte ich auch was zu tun.
»Soll ich schon mal den Tisch decken?«, frage ich rasch. Dann wäre die Herzensbildung erst mal auf Eis gelegt.
»Meine Güte, nein!«, ruft Isolde. »Du bist doch unser lieber Gast, Iris! Liebe Gäste müssen bei uns nichts tun.«
Und weshalb sollte ich dann vorhin beim Gemüse helfen? Und den blöden, engen Kittel anziehen?
»Gäste werden bei uns verwöhnt!«, sagt Nadine stolz.
Wahrscheinlich im Zuge der vorbildlichen Herzensbildung.
»Na, plauschen die Damen recht angenehm?«, höre ich Niklas’ Stimme von der Tür.
Ich sehe zu ihm rüber.
Ach, das wird bestimmt viel schöner – wenn wir uns ohne seine Familie treffen! Beim nächsten Mal. Darauf werde ich bestehen.
»Ja, sehr angenehm, mein Junge«, höre ich Isolde. »Wir plauschen über Herzensbildung.«
Nun guckt Niklas eindeutig gequält. Anscheinend ist er das Thema leid. Vielleicht hat ja auch gar nicht er, sondern Isolde versucht, Gesine auf den Weg der Herzensbildung zu bringen.
»Mama, ich kann dir versichern, Iris ist in dieser Hinsicht bestens ausgestattet! Du brauchst sie nicht weiter zu löchern.«
»Aber ich löchere sie doch gar nicht!«, empört sich Isolde. »Nicht wahr, mein Kind?«
Ich wünschte, sie würde mich Iris nennen. Nicht mein Kind .
»Nein. Deine Mutter hat mich nicht gelöchert«, muss ich zugeben.
»Hat Mama wirklich nicht«, bestätigt Nadine meine Aussage, als sei dies nötig. »Und außerdem wäre es ja auch nicht so schlimm, wenn doch. Hat noch niemandem geschadet, sich mit Herzensbildung zu befassen.«
»Wie gesagt, Iris’ Herz ist mit Sicherheit hervorragend gebildet«, sagt Niklas.
»Aber mein Junge, du kennst diese Frau doch erst ein paar Tage. Wie willst du das wissen?«, fragt Niklas’ Mutter mit einer Stimme, die von beispielhafter Sorge um ihren Sohnes spricht.
Ich schnappe nach Luft – hat sie denn völlig vergessen, dass ich, der liebe Gast, mit im Raum bin? Einen Moment bin ich so getroffen, dass ich überlege, einfach zu gehen. Dann fällt mir was ein.
»Habt ihr nicht selber gesagt, dass Niklas jeden Menschen sofort durchschaut?«, frage ich die beiden Frauen. »Weshalb sollte er das bei mir nicht können?«
Isolde sieht mich kühl an.
Dann lächelt sie plötzlich.
Sie streckt mir beide Hände entgegen.
»Du hast recht!«, ruft sie, als sei sie ganz entzückt. »Du kluges, kluges Kind!«
Ihre kleinen, molligen Hände sind immer noch hingestreckt.
Mit reichlich Widerwillen ergreife ich sie. Sie sind eiskalt.
Wie die meiner kranken Mutter, geht mir durch den Kopf.
Das macht der Krebs, hat sie immer gesagt.
Vergiss nicht, diese Frau hat nur noch ein paar Monate, vielleicht nur Wochen, ermahne ich mich. Also zwinge ich mich zu einem Lächeln und ertappe mich dabei, wie ich beginne, Niklas’ Mutter die Hände zu rubbeln. Um etwas Wärme reinzubringen. Wie früher bei meiner Mutter.
»Du gutes Kind!«, schnurrt Isolde.
Eine kleine Welle aus Ekel und Verwirrung steigt in mir auf.
»Entschuldigt mich bitte!«, stoße ich hervor und lasse Isoldes Hände einfach fallen.
Ich muss mal kurz raus aus dieser Küche. Für einen Moment allein sein. Vielleicht im Bad der Nienabers.
Ich stürze in den Flur.
Wo ist das verdammte Bad?
Alle Türen in dem engen dunklen Flur sind geschlossen und keine hat eines dieser hilfreichen Schildchen. Ich schnaufe verzweifelt. Auf gar keinen Fall will ich die Wohnzimmertür mit Niklas’ Vater dahinter aufreißen!
Egal, wie großmütig ich seine Gemeinheiten inzwischen betrachte.
»Ist dir nicht gut, mein Kind?«, ruft Isolde.
Ich höre, wie sie sich von der Küchenbank erhebt.
Jeden Moment wird sie bei mir sein. Und mir ihre Hände hinstrecken.
Ohne nachzudenken, haste ich durch den Flur. Aus der Wohnungstür hinaus. Die Treppe zum Vorgarten hoch. Dann marschiere ich einfach weiter.
Und werfe die Gartenpforte hinter mir zu.
Siebzehntes Kapitel
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