Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Blickwinkel – den ja sowieso niemand einnehmen wird?
Hoffnungsvoll drehe ich mich vor dem Spiegel.
Na ja – ich weiß nicht.
Ich ziehe die Bluse hinten so weit wie möglich runter, so dass vorne der Ausschnitt weiter nach oben rutscht.
Ha!
Das Dekolleté sieht gleich weniger offenherzig aus.
Ich beuge mich probeweise nach vorne.
Nein. Nein.
Vorbeugen geht gar nicht.
Ich laufe zurück ins Gästezimmer, ziehe mir eine Jeans über und lasse meinen Blick schweifen. Da! Das mintgrüne Halstuch, das ich mir mal aus Spaß passend zur Farbe meines Corsa gekauft habe! Ich schnappe es mir und wetze wieder ins Bad. Vor dem Glamour-Spiegel versuche ich zunehmend genervt, das hauchdünne, lange Teil über meinem Busen in eine stabile Position zu bringen.
Verflixt.
Soll ich mir auch noch eine Brosche anstecken, damit es hält?
Allein die Kombination Granatapfelrot und Mintgrün ist doch schon wie aus dem gemeinen ›Manchmal geht’s daneben!‹-Teil der Modezeitungen.
Seufzend zerre ich mir das Tuch vom Hals.
Dann muss ich eben mal sexy aussehen!
Fühlen werde ich mich ohnehin nicht so. Und benehmen schon gar nicht.
Auf der kurzen Fahrt zu den Felds denke ich darüber nach, wie ich Felix von der Verlobung abbringen könnte. Ganz sicher werde ich es nicht allein mit Hinweisen auf Melanies Unzulänglichkeiten versuchen, wie Bruno vorgeschlagen hat. Damit ist er doch schon gescheitert. Nein, überlege ich, während ich an einer Ampel warten muss, ich werde Felix erst mal sagen, was ich an Melanie gut finde! Ich werde sagen, dass sie … dass sie umwerfend ist. So fröhlich. Und hübsch. Genau! Dann wird er nämlich viel offener für meine Bedenken sein, wenn ich sie ihm im Anschluss darlege. So funktioniert es schließlich auch bei meinen uneinsichtigen Amtsbesuchern. Ich biete ihnen einen Bonbon an, räume ein, dass sie normalerweise bestimmt ganz vorbildliche Verkehrsteilnehmer sind – und plötzlich fällt es ihnen viel leichter, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückzuziehen.
Die Ampel springt um, und ich fahre ziemlich zufrieden weiter – bis ich beim Einparken vor dem Feld’schen Bungalow einen Blick in den Rückspiegel werfe. O nein. Das bisschen Bewegung während der Fahrt – und schon blitzt mein Baumwoll- BH an allen möglichen Stellen des Dekolletés hervor! Wie bei diesen jungen Frauen, die das merkwürdigerweise extra so arrangieren. Ich steige aus, ziehe ärgerlich hinten an der Bluse, damit sie vorne hochrutscht, und schließe mit starrem Oberkörper die Autotür.
Dann gehe ich steif durch die schmiedeeiserne Pforte und auf dem Plattenweg zur Haustür, links und rechts stehen die bei Felix so unbeliebten Rhododendren. Ich ziehe noch einmal kräftig an der Bluse und klingele. Es dauert keine fünf Sekunden, dann wird geöffnet.
Bruno steht im Anzug und mit einem Blatt Papier in der Hand vor mir. Ich habe gleich den Verdacht, es handelt sich um das Auflaufrezept.
»Hallo«, sage ich und schnuppere automatisch.
Gut. Es riecht nicht angebrannt.
Eigentlich riecht es überhaupt nicht nach Essen.
»Ha…, hallo, Iris«, stottert Bruno, während er in mein Dekolleté starrt. Dann reißt er seinen Blick los und schaut angestrengt in mein Gesicht. Seine Ohren färben sich dunkelrosa.
Oje.
Gerade noch kann ich den Impuls unterdrücken, am Rückenteil meiner Bluse zu zerren.
Das fängt ja gut an. Ich trete die Flucht nach vorn an. »Wollen wir mal nach dem Auflauf schauen?«
Bruno räuspert sich.
»Sicher«, antwortet er heiser, offensichtlich immer noch darum bemüht, seinen Blick nicht tiefer als mein Kinn sinken zu lassen. »Ich muss ihn nur noch in den Ofen schieben.«
Er dreht sich abrupt um, und ich folge ihm in die geräumige Küche, die wie immer ordentlich und sauber und trotzdem trostlos und verlassen wirkt.
»Ich habe schon vorgeheizt«, informiert Bruno mich angespannt. »225 Grad.« Er zeigt auf den vorbereiteten Auflauf, der auf dem Küchentisch thront und tadellos aussieht. »Da ist er!«, sagt er und legt das Papier mit dem Rezept ordentlich neben die Form, als sei der Auflauf so eine Art Ausstellungsstück, über dessen Bestandteile sich das staunende Publikum auf dem Zettel informieren kann.
»Gut gemacht, Bruno.« Ein großer Fortschritt in Sachen Kochen, also Kochen ohne Hilfe. Na ja, nicht ganz ohne Hilfe. »Wo ist denn Felix?«
»Der ist unter der Dusche. Ist heute beim … Outdoor-Shooting im See im Bürgerpark gelandet.« Bruno schüttelt den Kopf. »War
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