Hier und jetzt
angetan hätte. Er wollte mich zwingen, mit ihm zu gehen und bei ihm zu bleiben.”
Betroffen ließ er sie los. Hatte sie Lawrence so sehr geliebt, dass sie ihn noch immer nicht so sah, wie er wirklich war? „Du lieber Himmel, der Mann hat dich misshandelt. Er verfolgte dich mit einer Waffe in der Hand und …”
„Ken ist mir gegenüber nie handgreiflich geworden, sonst hätte ich ihn schon viel früher verlassen. Er war nicht einmal jähzornig. Dafür war er zu … flach.”
Jacob runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.”
„Das ist auch schwer zu beschreiben. Der Mann, den ich zu kennen glaubte, zog sich immer mehr in seinen Wahn zurück. Mit der Zeit empfand er gar nichts mehr stark, weder Zorn noch Glück. Einfach nichts. Nur ich war ihm noch wichtig.” Ihre Hand zitterte, als sie sich das Haar aus der Stirn strich. „Natürlich war das krankhafte Besessenheit und nicht Liebe, aber seine Gefühle wirkten echt. Vielleicht waren sie es anfangs auch, doch er veränderte sich vollständig.”
Jacob fühlte sich elend. „Du hast ihn geliebt.”
„Das dachte ich wenigstens. Ich wollte ihm helfen. Ich hatte keine Ahnung, dass er gefährlich war. Er hat mich nie bedroht, auch nicht, als ich versuchte, ihn zu verlassen. So sehr hing er an mir.”
Jacob wählte äußerst behutsam seine Worte. „Den meisten Frauen würde das gefallen.”
„Ja, anfangs schon. Er wirkte sehr romantisch und selbstsicher, aber dieses unglaubliche Selbstbewusstsein gehörte zu seiner Krankheit. Es war nicht wirklichkeitsbezogen, wie mein Therapeut sagte. Vermutlich weißt du auch, dass ich vor der Gerichtsverhandlung bei einem Therapeuten war.”
„Ich habe keine Unterlagen deines Therapeuten gesehen”, beteuerte er. „North fragte, ob ich sie haben wollte. Ich habe abge lehnt.”
„Wenigstens etwas.” Sie schwieg eine Weile. Sonnenlicht fiel durchs Fenster auf ihr Haar und ließ es aufleuchten. „Ken diskutierte mit mir über die Männer, die seiner Meinung nach meine Geliebten gewesen waren. Er war überzeugt, ich hätte ein Problem und wäre eine Nymphomanin. Ich erinnerte mich allerdings nicht an die Dinge, die ich angeblich getan hatte. Daraufhin erklärte er mir, ich würde die Erinnerungen abblocken, weil ich ihn betrogen hatte und mich deshalb schuldig fühlen würde. Er war sehr sanft und sehr vernünftig und fest entschlossen, mir zu helfen!”
Claire hob den Kopf. Ihr Gesicht wirkte durch das leuchtende Haar noch blasser.
„Tut mir Leid”, sagte sie leise. „Du willst das alles nicht hören, diese lange und traurige Geschichte meiner Liebesaffäre mit einem Verrückten. Ich sollte diesen Ballast nicht bei dir abladen. Es ist nur …”
„Nein.” Jacob ging zu ihr und griff nach ihrer Hand. „Entschuldige dich nicht. Du hast Recht, ich höre das nur sehr ungern, weil es dich verletzt. Aber ich muss es wissen, damit ich dich verstehe.”
„Noch mehr Fakten, Jacob?” fragte sie und drückte seine Hand.
Er drückte einen Kuss auf ihre Hand. „Ich will dir helfen, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.”
„Du hast mir schon geholfen.” Claire legte die Arme um ihn. „Und du hilfst mir auch jetzt.”
„Das freut mich”, versicherte er und streichelte ihr Haar, um sie zu trösten.
Doch er war nicht getröstet.
Er hatte gedacht, Claire würde sich von ihm Vernunft und Be herrschung wünschen. Das stimmte aber nicht. Lawrence hatte damals mit ihr scheinbar vernünftig gesprochen, und sie schauderte sogar nach sechs Jahren, wenn sie daran dachte. Und die Beherrschung hatte er, Jacob, verloren. Er brauchte Claire nur zu berühren, um nur noch seiner Leidenschaft entsprechend zu handeln. Das gefiel ihr, doch Sex allein band sie nicht an ihn. Dafür war mehr nötig.
Natürlich brauchte sie weiterhin seinen Schutz. Den bot er ihr gern. Doch früher oder später landete Ken Lawrence sicher wieder hinter Gittern. Was war dann? Jacob wollte Claire heiraten, doch nicht einmal das würde ausreichen. Er wusste nur zu gut, wie vergänglich Treueschwüre waren. Was konnte er ihr ge ben, damit sie bei ihm blieb?
Ihm fiel absolut nichts ein.
In dieser Nacht erwachte Claire durch das Trommeln des Regens auf dem Dach. Das Bett neben ihr war leer.
Jacobs Bett. Es sollte nicht leer sein. Als sie die Augen öffnete, sah sie ihn am Fenster stehen. Sein nackter Körper war in der Dunkelheit kaum zu erkennen.
Ein Blitz erhellte die Nacht - und sein Gesicht, in dem sie tief sitzenden Kummer
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