High Fidelity (German Edition)
erfinden und weil sich Marie – glaube ich – bereits entschlossen hat, mich zu mögen.
Ich habe völlig vergessen, wie man den nächsten Schritt tut, obschon ich nie sicher bin, ob es einen nächsten Schritt geben wird. Ich erinnere mich an den pubertären Kram, wo man den Arm über die Sofalehne schiebt und auf ihre Schulter sinken läßt oder sein Bein gegen ihres preßt. Ich erinnere mich an den pseudo-abgebrühten Erwachsenenkram, mit dem ich es versuchte, als ich Mitte Zwanzig war, wo ich einer Frau gerade in die Augen sah und sie fragte, ob sie über Nacht bleiben möchte. Aber nichts davon finde ich noch angemessen. Wie fängt man es an, wenn man alt genug ist, es besser zu wissen? Letztendlich kommt es – wie man fast hätte wetten können – zu einem unbeholfenen Zusammenprall mitten im Wohnzimmer. Ich stehe auf, um aufs Klo zu gehen, sie sagt, sie würde es mir zeigen, wir stoßen zusammen, ich packe zu, wir küssen uns, und schon bin ich wieder im Land der sexuellen Neurosen.
Warum ist Versagen das erste, woran ich in solchen Situationen denke? Warum kann ich nicht einfach meinen Spaß haben? Aber wenn man die Frage erst stellen muß, weiß man, daß man verloren ist: Befangenheit ist der schlimmste Feind des Mannes. Ich frage mich bereits, ob sie sich meiner Erektion so deutlich bewußt ist wie ich, und wenn ja, was sie davon hält. Aber ich kann nicht mal diese Sorge aufrechterhalten, geschweige denn irgendwas anderes, weil so viele andere Sorgen sie verdrängen und der nächste Schritt mir so entmutigend schwierig, unermeßlich furchteinflößend, absolut unmöglich erscheint.
Wenn man sich überlegt, was beim Mann alles schiefgehen kann! Da gibt es das Tut-sich-gar-nichts-Problem, das Tut-sich-zu-viel-zu-schnell-Problem, das Kläglicher-Hänger-nach-vielversprechendem-Start-Problem, das Größespielt-keine-Rolle-außer-bei-mir-Problem, das Es-ihr-nicht-besorgen-Problem … und worum haben sich Frauen zu sorgen? Das bißchen Zellulitis? Willkommen im Club. Ein kleines Wie-war-ich-wohl? Dito.
Ich bin froh, ein Typ zu sein, denke ich, aber manchmal bin ich nicht froh, ein Typ im ausklingenden zwanzigsten Jahrhundert zu sein. Manchmal wäre ich lieber mein Dad. Er mußte sich nie darüber den Kopf zerbrechen, die richtige Leistung zu bringen, weil er nichts davon wußte, daß irgendeine Leistung zu erbringen war. Er mußte sich niemals fragen, an welcher Stelle er unter den ewigen besten Einhundert meiner Mutter rangierte, weil er der erste und letzte auf der Liste war. Wäre es nicht klasse, wenn man über solche Dinge mit seinem Vater reden könnte?
Eines Tages versuche ich es vielleicht. »Dad, hast du dir jemals Gedanken über den weiblichen Orgasmus in seiner klitoralen oder (wahrscheinlich mythologischen) vaginalen Form gemacht? Weißt du eigentlich genau, was der weibliche Orgasmus ist? Was ist mit dem G-Punkt? Was bedeutete ›gut im Bett‹ 1955, falls es überhaupt irgendwas bedeutete? Wann wurde der Oralverkehr in England eingeführt? Neidest du mir mein Sexleben, oder sieht es für dich nur nach harter Arbeit aus? Hat es dir jemals Sorgen gemacht, wie lange du kannst, oder hast du damals an solche Dinge gar nicht gedacht? Bist du nicht froh, daß du nicht erst vegetarische Kochbücher kaufen mußtest, um einem Mädchen an die Wäsche gehen zu können? Bist du nicht froh, daß du niemals die ›Du magst ja schwer in Ordnung sein, aber machst du das Klo sauber?‹-Gespräche führen mußtest? Bist du nicht heilfroh, daß dir die Schrecken der Geburt erspart blieben, mit denen sich alle modernen Männer konfrontiert sehen?« (Und was würde er sagen, frage ich mich, wenn ihm nicht sein Stand, sein Geschlecht und seine Zurückhaltung die Zunge lähmten? Wahrscheinlich so was wie »Hör auf zu jammern, Sohn. Der gute Fick war zu meiner Zeit noch nicht mal erfunden , und egal, wie viele Klos du putzen und wie viele vegetarische Rezepte du lesen mußt, du hast immer noch mehr Spaß, als es uns je erlaubt war.« Und damit hätte er auch noch recht.)
Das ist die Sorte von Sexualaufklärung, die ich niemals hatte – die mit den G-Punkten und ähnlichem. Niemand hat mir je etwas von den Dingen erzählt, die wichtig sind, etwa, wie man seine Hosen mit Würde auszieht, oder was man sagt, wenn man keine Erektion bekommt, oder was »gut im Bett« 1975 oder 1985 bedeutet hat, vergessen wir 1955. Stell dir vor: Nie hat mir jemand etwas über Samenzellen erzählt, nur über Sperma, und da gibt es
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