High Fidelity (German Edition)
was ich meine. Ich bin über die Entdeckung, daß Marie eine Zwischenspielerin ist, besonders enttäuscht, weil ich sie für etwas bohemienhafter gehalten hatte, von wegen Plattenvertrag und all dem. Ich dachte, der Sex würde ein wenig schmutziger, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Kaum sind wir im Schlafzimmer, verschwindet sie auf der Stelle, und ich kann hier Däumchen drehen und mich fragen, ob ich mich nun ausziehen soll oder nicht.
Weil – wenn ich mich ausziehe und sie mir dann die grüne Zahnbürste anbietet, bin ich aufgeschmissen: Das bedeutet entweder den langen nackten Gang ins Badezimmer, und dazu sehe ich mich noch nicht imstande, oder völlig angekleidet zu gehen und nachher mit dem Kopf im Pullover steckenzubleiben. (Die grüne Zahnbürste abzulehnen ist aus naheliegenden Gründen einfach nicht drin.) Für sie ist das kein Problem, sie kann all das vermeiden. Sie kann mit einem Sting-T-Shirt Größe XL reinkommen, das sie dann abstreift, während ich aus dem Zimmer bin. Sie hat sich dann nichts vergeben, und ich schäme mich in Grund und Boden. Aber dann fällt mir ein, daß ich halbwegs flotte Boxershorts (ein Geschenk von Laura) und ein nicht reines, aber wenigstens sauberes weißes Sporthemdchen trage, so daß ich mich für die Unterwäsche-im-Bett-Option entscheide, ein nicht unvernünftiger Kompromiß. Als Marie zurückkommt, blättere ich, so cool es mir eben gelingt, in ihrem John-Irving-Taschenbuch.
Und dann gehe ich ins Badezimmer und putze mir die Zähne, und dann komme ich zurück, und dann lieben wir uns, und dann reden wir ein bißchen, und dann machen wir das Licht aus, und das war's. Ich werde nichts über all den anderen Kram sagen, das Wer-macht-was-bei-wem-Zeug. Kennt ihr »Behind Closed Doors« von Charlie Rich? Das ist eins meiner Lieblingsstücke.
Ich nehme an, ihr habt ein Recht darauf, einige Dinge zu erfahren. Ihr habt ein Recht zu erfahren, daß ich nicht schlecht abgeschnitten habe, daß ich mit keinem der gravierenden Probleme zu kämpfen hatte, daß ich es nicht rundum brachte, Marie aber meinte, es habe ihr trotzdem gefallen, und ich glaubte ihr. Und ihr dürft gerne erfahren, daß es mir auch gefallen hat, und daß mir irgendwann währenddessen auch wieder eingefallen ist, was ich am Sex mag: Was ich am Sex mag, ist, daß ich mich völlig darin verlieren kann. Sex ist tatsächlich die ausfüllendste Aktivität, die ich als Erwachsener kennengelernt habe. Als Kind kannte ich diese Empfindung bei allen möglichen Dingen … bei Mekkano, dem Dschungelbuch, Biggles › Anmerkung , Solo für O.N.K.E.L., den ABC-Minors › Anmerkung … ich konnte Ort, Zeit und jeden in meiner Gesellschaft darüber vergessen. Sex ist das einzig Vergleichbare, das ich als Erwachsener entdeckt habe, abgesehen von einem Film dann und wann: Bücher nehmen einen nicht mehr so gefangen, wenn man erst mal die Pubertät hinter sich hat, und meine Arbeit schon gar nicht. Die ganze gräßliche Befangenheit, die dem Sex vorausgeht, fällt von mir ab, und ich vergesse Ort und Zeit und … ja ich vergesse vorläufig, mit wem ich zusammen bin. Sex ist so ziemlich die einzige erwachsene Sache, die ich beherrsche. Das Verrückte ist, daß es zugleich auch die einzige Sache ist, bei der ich mich fühle wie ein Zehnjähriger.
Ich wache im Morgengrauen auf und habe das gleiche Gefühl wie in der Nacht, in der ich das mit Laura und Ray eigentlich kapierte: daß mir die nötige Schwere fehlt, etwas, das mich am Boden hält, und ich einfach fortgeweht werde, wenn ich mich nicht festhalte. Ich mag Marie sehr, sie ist lustig und clever und hübsch und talentiert, aber wer zum Henker ist sie? Ich meine das nicht philosophisch. Ich meine nur, daß ich sie nicht seit ewig kenne, was also mache ich in ihrem Bett? Es gibt doch gewiß einen besseren, sichereren, freundlicheren Ort für mich als hier? Aber ich weiß, daß es den nicht gibt, im Augenblick nicht, und das ängstigt mich zu Tode.
Ich stehe auf, finde meine flotten Boxershorts und mein Unterhemd, gehe ins Wohnzimmer, krame in meinen Jackentaschen nach den Kippen und setze mich rauchend in die Dunkelheit. Kurz drauf steht Marie auch auf und setzt sich neben mich.
»Du sitzt hier und fragst dich, was das alles soll?«
»Nein, weißt du, ich will nur …«
»Weil ich nämlich deshalb hier sitze, falls dir das hilft.«
»Ich dachte, ich hätte dich aufgeweckt.«
»Ich habe noch gar nicht geschlafen.«
»Also hast du dich das schon viel länger
Weitere Kostenlose Bücher