High Fidelity (German Edition)
Armseligste-Figur-der-Welt trägt eine riesige Brille im Dennis-Taylor-Stil › Anmerkung und hat einen Überbiß. Er trägt einen schmutzigen rehbraunen Anorak und eine braune, an den Knien abgescheuerte Kordhose. Auch er ist von seinen Eltern mitgenommen worden, um sich Howard's End anzusehen, ungeachtet der Tatsache, daß er Ende Zwanzig ist. Und er schenkt mir dieses entsetzliche kleine Lächeln, weil er eine verwandte Seele entdeckt hat. Das bringt mich so aus dem Gleichgewicht, daß ich mich nicht auf Emma Thompson und Vanessa und die übrigen konzentrieren kann, und als ich mich wieder berappelt habe, ist es zu spät und die Geschichte zu weit fortgeschritten, um mich noch reinzufinden. Am Schluß fällt irgendwem ein Bücherregal auf den Kopf.
Ich wage zu behaupten, daß das Lächeln der AFDW unter den Unsterblichen Fünf aller Tiefpunkte meines Lebens rangiert, die anderen vier sind mir momentan entfallen. Ich weiß, daß ich nicht so armselig bin wie die armseligste Figur der Welt. (Hat er die letzte Nacht im Bett eines amerikanischen Plattenstars verbracht? Das bezweifle ich sehr.) Das Entscheidende ist, daß ihm der Unterschied zwischen uns nicht auf den ersten Blick auffällt, und ich weiß auch, warum. Darauf läuft alles hinaus, das macht für uns alle, alt und jung, Männer und Frauen, die Hauptattraktion des anderen Geschlechts aus: Wir brauchen jemanden, der uns vor verständnisvollem Lächeln sonntags abends in der Kinoschlange schützt, jemanden, der uns davor bewahrt, in jene Hölle zu stürzen, in der rettungslos verlorene Singles mit ihren Mums und Dads hausen. Ich gehe nie wieder dorthin. Lieber verbringe ich den Rest meines Lebens im Haus, als diese Art von Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
D ie Woche über denke ich an Marie, und ich denke an Die-Armseligste-Figur-der-Welt und auf Barrys Geheiß an meine fünf ewigen Lieblingsepisoden von Cheers: 1) Die, in der Cliff eine Kartoffel findet, die wie Richard Nixon aussieht; 2) Die, in der John Cleese Sam und Diane Eheberatung vorschlägt; 3) Die, in der sie glauben, der Stabschef der US Forces – gespielt von dem echten Admiralstypen – hätte Rebeccas Ohrringe gestohlen; 4) Die, in der Sam einen Job als Sportmoderator im Fernsehen kriegt; 5) Die, in der Woody sein blödes Lied über Kelly singt. (Barry meinte, daß ich mich bei vier von den fünfen geirrt hätte, daß ich keinen Humor hätte, und daß er Channel 4 bitten würde, meinen Empfang zwischen halb zehn und zehn jeden Freitagabend zu stören, weil ich ein unwürdiger und undankbarer Zuschauer sei.) Aber ich denke an nichts von dem, was Laura an jenem Samstagabend gesagt hat, bis ich Mittwoch nach Hause komme und mich eine Nachricht von ihr erwartet. Es ist nichts Weltbewegendes, nur die Bitte um eine Kopie einer Rechnung aus unseren Haushaltsunterlagen, aber beim Klang ihrer Stimme wird mir klar, daß wir über einige Dinge gesprochen haben, die mir hätten zu denken geben sollen, es aber irgendwie nicht getan haben.
Zu allererst – zu allererst und zu allerletzt – diese Geschichte über das Nicht-mit-Ian-schlafen. Woher soll ich wissen, ob sie die Wahrheit sagt? Nach allem, was ich weiß, könnte sie seit Wochen, Monaten mit ihm schlafen. Und außerdem hat sie nur gesagt, sie habe noch nicht mit ihm geschlafen, und das war letzten Samstag, vor fünf Tagen. Fünf Tage! Seit damals hätte sie schon fünfmal mit ihm schlafen können! (Sie hätte seit damals zwanzigmal mit ihm schlafen können, aber ihr wißt, was ich meine.) Und selbst wenn sie das nicht getan hat, so hat sie es doch unmißverständlich angedroht. Was soll »noch« schließlich bedeuten? »Ich habe Reservoir Dogs noch nicht gesehen.« Was soll das bedeuten? Es bedeutet, daß man ihn sich noch ansehen wird, oder nicht?
»Barry, wenn ich dir sagen würde, ich hätte Reservoir Dogs noch nicht gesehen, was würde das bedeuten?«
Barry starrt mich an.
»Na … komm schon, was würde das für dich heißen? Dieser Satz? ›Ich habe Reservoir Dogs noch nicht gesehen‹?«
»Für mich würde das heißen, daß du ein Lügner bist. Entweder das, oder du bist verrückt geworden. Du hast ihn zweimal gesehen. Einmal mit Laura und einmal mit mir und Dick. Wir haben uns darüber unterhalten, wer Mr. Pink, oder welche verdammte Farbe er war, umgebracht hat.«
»Ja, Ja, ich weiß. Aber angenommen, ich hätte ihn nicht gesehen und würde dir sagen ›Ich habe Reservoir Dogs noch nicht gesehen‹, was würdest du
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