Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
auf dasselbe hinaus: Sie konnte die Trennung verlangen und verhindern, dass er Gabriel sah, wie sie ihm gedroht hatte. Aber sie wusste, dass ihr Sohn derjenige war, der am stärksten unter der Situation leiden würde. Und das war das Letzte, was sie sich wünschte. Pierre und sie hatten bereits getrennte Schlafzimmer, und sie sah keinen Sinn darin, ihren Mann sinnlos leiden zu lassen. Sie konnte nicht darüber hinwegsehen, dass sie zum Teil selbst für das Geschehene verantwortlich war.
»Ich werde Euch nicht um Vergebung für etwas bitten, das ich mir selbst nicht verzeihen kann, Isabelle. Ich liebe Euch. Trotz Eurer Kälte und der Strafe, die Ihr mir auferlegt, liebe ich Euch und werde Euch immer lieben. Aber Ihr könnt nicht erwarten, dass ich mein Verlangen nach Euch auf die gleiche Weise befriedige wie ein Mönch in seiner Zelle. Meine einzige Schuld ist, dass ich es an Diskretion habe mangeln lassen. Aber außer Jacques und Euch weiß niemand davon…«
Isabelle setzte das Kätzchen, das auf ihrem Arm unablässig zappelte, zu Boden. Sie schwieg. Als sie sich Pierre zuwandte, fiel ihr Blick auf die Tür des Arbeitszimmers, die auf der anderen Seite des Korridors lag.
»Heute hat Monsieur Guillot nach dem Vertrag des Pelzhändlers van der Meer gesucht«, versetzte sie unvermittelt.
Der Notar nickte.
»Ja … ich weiß. Er hat mir erzählt, dass Ihr ihm beim Suchen geholfen habt.«
Schweigen. Nach einer Weile reckte Pierre die Schultern und ging in Richtung Arbeitszimmer. Isabelle folgte ihm. Der Raum roch angenehm nach Tabak, Leder, Tinte und Papier. Diese Mischung von Gerüchen erinnerte Isabelle immer an das Arbeitszimmer ihres Vaters, dessen Atmosphäre sie früher als so beruhigend empfunden hatte. Doch heute Abend drückte eine unermessliche Angst sie nieder.
Pierre zündete eine Kerze an und griff nach einem dicken Umschlag, der auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch lag. Er ließ ihn zwischen seinen Fingern knistern und schaute unentschlossen darauf hinunter. Isabelle spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, während ihr vor Verzweiflung die Knie weich wurden.
»Setzt Euch, Isabelle.«
Sie gehorchte und nahm in dem kleinen Sessel im englischen Stil Platz, der für gewöhnlich den Klienten vorbehalten war. Er wog den Umschlag in der Hand, sah sie schließlich an und hielt ihrem Blick stoisch stand.
»Hat Jacques Euch von … dem schrecklichen Unfall erzählt?«
Ihre Kehle war so zugeschnürt, dass sie nicht antworten konnte.
»Ja, er hat mit Euch gesprochen; er hat es mir eingestanden. Jacques war dermaßen niedergeschlagen… Er dachte, Ihr wäret im Bilde … nun ja. Es tut mir leid, dass ich Euch die Nachricht nicht früher überbracht habe. Aber ich konnte mich vor dem Ball nicht dazu überwinden. Ich fand, das wäre ein Mangel an Feingefühl gewesen.«
Sarkastisch dachte Isabelle, dass er heute ganz allgemein einen »Mangel an Feingefühl« gezeigt hatte. Aber sie verbiss sich die Bemerkung.
»Hier.«
Er reichte ihr den Umschlag, aber sie wagte ihn nicht zu nehmen, ihn nicht zu berühren, als bedeutete das, Alexander zu begraben, ihn endgültig ins Reich der Erinnerung zu verbannen. Als Pierre sah, dass sie reglos wie eine Statue dasaß, öffnete er den Umschlag und ließ den Inhalt auf die Schreibunterlage gleiten. Isabelle stockte der Atem: Da, vor ihren Augen, lagen ihr glitzerndes Taufkreuz und Alexanders Dolch, dessen Heft mit diesen unverwechselbaren Motiven geschmückt war.
»Neiiin … Oh mein Gott!«
Ihre Finger zitterten dermaßen, dass sie kaum in der Lage war, das Kreuz aufzuheben, das noch an seinem Lederband hing. Sie schloss die Hand darüber und führte sie an ihr Herz. Pierre schlug die Augen nieder. Unsagbare Trauer ergriff ihn, denn jetzt begriff er, dass Isabelles Liebe zu dem Schotten dessen Tod überdauern würde, ganz gleich, was er selbst tat.
Keuchend rang sie nach Luft, während ihr die Tränen in Strömen über das völlig aufgelöste Gesicht rannen. Ein langer Klageschrei stieg in ihr auf, füllte ihre Lungen zum Zerspringen und brach sich durch ihren ausgetrockneten Mund Bahn. Niedergeschmettert, von heftigem Schluchzen geschüttelt, rutschte sie vom Sessel und sank auf die Knie.
»Isabelle … Kommt. Kommt her.«
Pierre zog sie in die Arme und half ihr beim Aufstehen.
Der Geruch des Cognacs drehte ihr den Magen um. Trotzdem nahm sie einen Schluck von dem starken Alkohol. Dann stützte Pierre sie und half ihr die Treppe hinauf
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