Hilfe, ich habe Urlaub
Arten der Fortbewegung. Die langsamste und niedrigste in der Hackordnung heißt Pferd und Wagen. Als nächstes kommt das Pedicab. Das ist ein kleiner Einspänner auf zwei Rädern, der von einem Mann durch den Verkehr gezogen wird. Dann
kommt eine Art Dreirad mit Hilfsmotor, gefolgt von Motorrollern, Mietwagen (und Taxis), Lkws und schließlich Bussen.
Auf der Straße wirkt sich die Hackordnung folgendermaßen aus: Ihr Wagen überholt einen anderen Wagen mit achtzig bis hundert Kilometer pro Stunde. Falls Ihnen jetzt auf der Überholspur ein Motorroller entgegenkommt, steht er nach der Hackordnung unter Ihnen. Er hat zu verschwinden. Fragen Sie mich nicht, wohin. Er löst sich irgendwie in Luft auf. Kommt Ihnen andererseits ein Lkw oder Bus entgegen, muß Ihr Wagen dem Gegenverkehr die Vorfahrt lassen.
Es ist das alte Kinderspiel >Wer zuckt zuerst mit der Wimper<, das hier zur Perfektion gebracht worden ist. Während unser Leben am seidenen Faden hing, versuchte uns unser Führer auf Tempel und Sehenswürdigkeiten hinzuweisen. Ich hatte nur Augen für den Fahrer.
Ab und zu vollführte er ein kleines bizarres Ritual. Als wir an einer Ampel hielten, beugte er seinen Kopf zur Seite bis auf die Schulter und gab dann mit beiden Händen seinem Kopf einen Ruck, der einem normalen Menschen glatt das Genick gebrochen hätte.
»Warum hat er das getan?« fragte ich unseren Führer.
»Das lindert die Anspannung«, erklärte er. »Eigentlich ist er ein sehr guter Fahrer. Aber Sie sind hier, um Ferien zu machen. Lehnen Sie sich einfach zurück und genießen Sie.«
Man hätte mir zehn Valiumtabletten geben müssen, bevor ich mich hätte entspannen können.
Ich würde Ihnen jetzt gern erzählen, daß ich trotz der Raserei und dem geisteskranken Überholen nie einen Unfall gesehen habe. Leider kann ich das nicht. Es war vielmehr so, als steckten wir mitten in einem Karambolagerennen.
Ich habe Frauen gesehen, die beim Fahrradfahren auf ihrem Kopf Körbe mit Obst
balancierten, nur um zu erleben, wie alles in den Straßengraben fiel und Obstsalat wurde.
Ich habe einen Krankenwagen gesehen, der einem Lkw die Vorfahrt - Sie haben es erraten -
ließ, und im Stadtgebiet war es nicht ungewöhnlich, Menschen am Straßenrand sitzen zu sehen, die sich den bandagierten Kopf hielten, während ihre Autos abgeschleppt wurden. Aber bei all dem habe ich nie Zorn, obszöne Gesten oder verzweifelte Gesichter gesehen. Ich habe nie Geschrei oder irgendwelche Äußerungen gehört… nur stille Resignation ohne jede
Gefühlsregung.
Beim Abendessen an unserem ersten Abend lächelte mir unser Führer zu und beschwor mich wie schon so oft an diesem Tag: »Fräulein, Sie müssen sich entspannen. Sie Urlaub! Wollen Sie gerne sehen indonesische Tänzer im Ramajana-Ballett im Theater?«
Er hatte recht. Ich hatte in den Bodenbelag des Wagens ein Loch gescheuert, weil ich den ganzen Tag über mit dem Fuß auf imaginäre Bremsen getreten war. »Ich werde ins Hotel zurückgehen und mir etwas Passendes anziehen«, sagte ich.
Ich reise mit einer begrenzten Garderobe, aber ich habe immer ein Kleid für besondere Anlässe dabei. Dieses hier war ganz weiß mit einem Goldgürtel, dazu Sandalen. Wir hätten Verdacht schöpfen müssen, daß nicht vom Bolschoi die Rede war, als unser Fahrer wie ein Irrer dunkle Seitenstraßen entlangsauste und einen Meter vor dem »Theater« auf einem Schotterweg Halt machte. Genaugenommen war das Theater ein Zelt. Durch die Leinwand leuchteten nackte Glühbirnen. Wir kauften unsere Karten und gingen hinein. Ich war nicht nur zu gut angezogen, der Vorverkauf war auch zu schlecht gelaufen. Um die kleine Bühne müssen ungefähr
siebenhundert Klappstühle verteilt gewesen sein. Außer uns waren noch fünf andere Leute da.
Ich glaube, es waren deutsche Touristen.
Um sieben Uhr setzte die Musik ein, und die graziösen Tänzerinnen und Tänzer schwebten auf die Bühne. Unser Führer lehnte sich zu uns herüber, um zu erklären, was auf der Bühne vor sich ging. »Ein junger Mann namens Jaka Tarub geht eines Tages auf Vogeljagd und sieht eine liebliche Nymphe vom Himmel heruntersteigen, um im Waldsee zu baden«, flüsterte er. »Er verbirgt sich, sieht aber der Nymphe zu und verliebt sich in sie. Jaka Tarub stiehlt ihr die Kleider. Er kehrt zu seinem Versteck zurück und erzeugt eine Störung, damit Nawangwulan erschrickt, aber sie kann ihre Kleider nicht wiederfinden und so nicht in den Himmel zurückkehren. Sie fühlt sich
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