Hilfe, ich habe Urlaub
die
absonderliche Idee verfallen wären, Menschen zu fotografieren.
Max schaute auf die Kamera meines Mannes wie auf einen Zeitzünder.
»Wo ist der Sucher?« fragte er.
»Wo muß ich drücken?«
»Wie stellt man sie scharf?«
»Wo ist der Belichtungsmesser?«
Mein Mann unterhielt sich länger mit ihm als mit mir auf der ganzen Reise.
Wir grinsten in die Kamera, und Max machte den Schnappschuß. Als wir den Abzug kriegten, waren unsere Köpfe nicht mit drauf.
Ich hatte die Auszeichnung, der einzige Mensch in der Reisegruppe zu sein, der mit einer Kamera nichts anfangen konnte. Als wir über die Waschbrettstraßen von Afrikas Wildreservaten polterten, sah ich den anderen zu: laden, schießen, nachladen und wieder schießen. Sie waren stolz, Afrikas Tiere nicht nur auf Film einzufangen, sondern sie vor der Ausrottung durch Jäger mit Gewehren zu bewahren. Das war sicher eine gute Sache. Aber ich mußte mich doch fragen, wie viele Tiere Herzanfälle bekamen bei der Flucht vor den Landrovern, aus denen riesige Objektive auf sie zielten. Wie viele Tiere würden ihr Gehör einbüßen, weil jemand auf Pfannen eindrosch, um sie aus dem Versteck zu locken oder mit den Fäusten auf das Blech des
Landrovers trommelte, damit sie die Ohren aufstellten? Wie vielen dieser Kreaturen wurde Tag und Nacht ins Gesicht geblitzt, bis sie ihr Augenlicht verloren?
Wie lange würde es noch dauern, bis Fotografen sich nicht mehr damit zufriedengeben
würden, die Tiere einfach »natürlich« abzulichten, sondern darauf bestanden, daß sie »etwas tun« - zum Beispiel erzählen, wo sie herkommen, oder Purzelbäume schlagen oder ein Liedchen brummen.
Als Ava dort war, kann Afrika noch nicht so voll gewesen sein. Daran hätte ich mich erinnert.
Am Buffet in den Safarihotels standen die Leute Schlange, vor den Andenkenläden am
Straßenrand tummelten sich busladungsweise Touristen, und als eines Tages eine Löwin mit ihren Jungen entdeckt wurde, machte die Nachricht die Runde, und es herrschte ein Gewimmel wie bei einer Polizeirazzia in einer Nacktbar.
Auf dieser Reise war ich die Frau, die für die anderen rätselhaft blieb. Ich machte mich zum Abendessen fein.
Nachts starrte ich stundenlang ins Lagerfeuer, und ich war der einzige Mensch, der keine Kamera um den Hals trug.
Als ich eines Abends allein am Lagerfeuer träumte, kam Tim auf seinem Weg zum Zelt von Max vorbei. Er wollte seine Malariapillen gegen eine Rolle Diafilm tauschen. Er blieb einen Moment stehen, zögerte und meinte dann:
»Entschuldigen Sie meine Neugierde, aber was haben Sie eigentlich von dieser Reise? Ich verstehe nicht ganz, wie jemand auf Fotosafari nach Afrika fährt und nur herumsitzt, während all diese herrlichen Tiere nur auf einen Schnappschuß warten. Würden Sie denn nicht auch gern mit einem Bild von einem stattlichen Löwen nach Hause fahren, das Sie dann über den Kamin hängen können?«
Ich lächelte. »Für eine Reise nach Afrika braucht es keinen Grund. Ich will meinen Blick nicht durch ein Kameraobjektiv einschränken. Afrikas Staub, sein Schweiß und seine Hitze genügen mir. Ich nehme seine Stille in mich auf. Ich brauche mir kein gähnendes Nilpferd mit der Linse nah ranzuholen. Mir reicht es schon, in der Dämmerung an ein Wasserloch zu fahren, den Motor des Landrovers abzustellen und einfach stundenlang dazusitzen und zu sehen, was für eine Parade von Tieren zum Trinken herkommt oder um im Matsch herumzutollen, um sich die Wunden zu lecken und zu lindem. Afrika ist ein Ort für Abenteurer … für Liebhaber und Romantiker. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
Er schwieg lange, bevor er sagte: »Nun kommen Sie mal wieder auf den Teppich« und im Dunkeln verschwand.
Meine Anwesenheit auf der Reise hatte aber schon einen Zweck. Ich war ein Lockvogel für die Fotografen. Das funktionierte folgendermaßen: Wenn einer der Fotoamateure ein Bild von einem Wildhüter machen wollte, dem die mit Knochen verzierten Ohrläppchen bis auf die Schultern reichten, mußte ich in die Nähe schlendern und mich in Positur werfen. Im letzten Augenblick schwenkte er dann die Kamera herum und machte das Foto, das er wirklich machen wollte.
Während unserer letzten Woche in Afrika saß ich eines
Abends im Safarihotel auf der Veranda und schlürfte etwas Kaltes. Ich hatte mir einen gelben Schal umgebunden, und mein Nagellack biß sich erstaunlicherweise nicht mit dem Khaki meiner Safarijacke. Ich ließ meine Finger am Rand des Glases entlanggleiten und
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