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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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musste gegen ein wissendes Grinsen ankämpfen, denn ganz offensichtlich hatte ich mit meinen Vermutungen recht.
    Â»Lass mich raten, er ist zu allem fähig und vollkommen skrupellos.«
    Â»Ja.«
    Â»Skrupelloser als ihr oder spielt ihr in der gleichen Liga?«
    Darauf antwortete er lange nicht, und als er es tat, klang seine Stimme unsicher. »Ich weiß es nicht mehr.«
    Nun, ich wusste, dass Stephan Olivier mich in der U-Bahn gerettet hatte. Und niedergeschlagen, entführt und mit Chloroform betäubt hatte er mich auch nicht.
    Wir schwiegen über fünfzehn Minuten, in denen Marlon stur auf der linken Spur blieb und langsamere Wagen mit der Lichthupe verscheuchte. Immer wieder warf er Blicke in den Rückspiegel. Einmal verließ er die Autobahn und zockelte mit bemerkenswerter Ruhe durch eine Kleinstadt. Er machte einen Umweg, um dann an der Anschlussstelle, an der wir zuvor schon vorbeigekommen waren, wieder auf die Autobahn zu fahren. Er wollte verhindern, dass ich mir den Weg merkte, eindeutig.
    Als der Tacho wieder 180   km/h anzeigte – ich grübelte derweil, wie sich Menschen, die derart abgerissen hausten, solche Autos leisten konnten –, stieß Marlon einen Seufzer aus.
    Â»Ich muss dich um ein oder zwei weitere Gefallen bitten.«
    Â»Du willst, dass ich über alles, was passiert ist, schweige«, riet ich.
    Er lächelte. »Wäre das ein Problem?«
    Wie kam er bloß auf die Idee. Ich musste ja nur all meine traumatischen Erlebnisse in mich hineinfressen, statt mit jemandem darüber zu reden, um es zu verarbeiten. Außerdem musste ich meinen Vater belügen, der mir vermutlich eine Strafe aufbrummen würde. Überhaupt kein Problem.
    Oh Marlon, du wirst bald erfahren, wie es sich anfühlt, eingesperrt zu sein! Im Gegensatz zu mir würde er innige Bekanntschaft mit Handschellen schließen und sehr interessante Menschen kennenlernen. Pflichtverteidiger, Gefängniswärter, Staatsanwälte und Richter zum Beispiel. Und am Tag seiner Gerichtsverhandlung würde ich sein blödes Grinsen erwidern.
    Â»Eine letzte Sache noch«, meinte er und verstellte die Außenspiegel mit unruhigen Fingern. »Ich … G…glaubst du … K…k…kannst du …« Er brach ab, presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Entschuldige.« Er machte keinen Versuch, den angefangenen Satz zu beenden. Stattdessen trommelten seine Finger auf dem Lenkrad im Takt der Musik und er wisperte den zungenbrechend schnellen Text mit.
    Â»Ich habe als Kind gestottert«, sagte er unvermittelt. »Nicht nur ein bisschen, sondern so stark, d…dass man k…kein Wort verstanden hat. Manchmal bereitet es mir heute noch Probleme.« Erneut wisperte er den Songtext mit.
    Â»Ist ja rührend.« Mein Zynismus war echt, doch gleichzeitig fühlte ich eine gewisse Genugtuung. Einerseits, weil er wegen mir wieder stotterte, aber in erster Linie, weil sein Geständnis das Rätsel um seine besondere Art zu sprechen erklärte. Es war kein ausländischer Akzent, sondern seine Methode, um nicht zu stottern.
    Â»Ich habe das Sprechen über Gesang gelernt«, erklärte er, als der Song zu Ende war. Ich hätte schwören können, dass er errötete, wenn auch nur ganz wenig. »Ich konnte zwar nie gut singen, aber ich konnte es immerhin besser, als drei Worte geradeaus zu sagen.«
    Ich wollte erwidern, dass mich seine Lebensgeschichte nicht interessierte, leider wäre das gelogen gewesen. Er war mir längst nicht so gleichgültig, wie ich es gerne gehabt hätte. Nein, es war sogar auf eine gewisse Art liebenswürdig von ihm, mir so viel über sich zu erzählen. Dadurch musste ich mich ihm nicht ganz so unterlegen fühlen. Ich grübelte, ob ich Gefahr lief, das berühmte Stockholm-Syndrom zu entwickeln, bei dem das Entführungsopfer Zuneigung zum Täter entwickelt. Aber das konnte ich ausschließen. Marlon war nicht der aktive Kidnapper gewesen, er hatte mich gut behandelt und brachte mich nun sogar nach Hause. Allerdings durfte ich auch nicht vergessen, dass er mich ursprünglich hatte um die Ecke bringen lassen wollen, hinter der man normalerweise nicht mehr wieder hervorkam.
    Nein, definitiv keine Zuneigung! Er war und blieb ein Dreckskerl und ein Psycho. Mit mir stimmte alles!
    Marlon räusperte sich. »Glaubst du, du kannst uns irgendwann verzeihen?«
    Seine Frage

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