Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
als Marlon sich umdrehte, erschien er mir blasser als zuvor. »Das solltest du wirklich.« Seine Worte klangen unangenehm endgültig.
    Â»Darf ich wiederkommen?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Besser nicht. Du könntest jemanden herführen. Kann ich dich um etwas bitten?«
    Â»Das Übliche?« Ich war merkwürdig enttäuscht, ihn morgen nicht besuchen zu dürfen. Ich hätte gerne einen Cappuccino mit ihm getrunken und maulte innerlich über die zu schnell verrinnende Zeit. »Keine Sorge, ich verrate niemandem, dass du hier bist.«
    Â»Du bekommst mehr Antworten von mir«, versprach Marlon leise.
    Â»Bald?«
    Er nahm ein paar Blätter vom Tisch und betrachtete sie nachdenklich. Dann faltete er sie mehrmals, fuhr die Knickkanten mit dem Daumen nach und reichte mir das entstandene Papierpäckchen. Er tippte sich an die Schläfe, seine Art eines Abschiedsgrußes. »Jetzt. Und nun geh besser.«
    Ich nickte und verbot mir sowohl das Öffnen des Päckchens als auch, ihn nach einem Wiedersehen zu fragen. »Sag mir Bescheid, solltest du die Katze sehen, ja?«
    Er gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Hier kommt im Leben keine Katze her.«
    Als Papa kam, hatte ich das Papierpäckchen unter meinem Kopfkissen versteckt. Ich lümmelte vor dem Fernseher herum und erweckte den Eindruck, vor Langeweile kaum mehr geradeaus gucken zu können. Tatsächlich kostete es mich jede Menge Nerven, den ganzen Abend über so zu tun, als sei nichts gewesen. Marlons Brief schien nach mir zu rufen: Lies mich endlich, komm, lies mich, liesmichliesmichliesmich! Beim Essen wurde Papa sogar ein bisschen misstrauisch, da ich entgegen meiner Gewohnheiten wenig aß und keinen Nachtisch wollte, obwohl mein Lieblingspudding im Kühlschrank stand. Mein Magen war allerdings zu keinem Theaterspiel bereit. Er fühlte sich an wie mit Blei ausgegossen und machte mir unmissverständlich klar, dass er jeden Bissen, den ich zu viel nahm, postwendend und mit unfreundlichen Grüßen zurückschicken würde. Wir räumten ab und sahen uns danach einen Endzeitthriller mit Will Smith an. In dem Film kommt ein treuer Hund ums Leben – solche Szenen gingen mir immer viel näher, als mir lieb war –, es war also kein Wunder, dass ich permanent im Sessel hin und her rutschte und an meinen Nägeln kaute. Papa entspannte sich. Als er sich nach dem Abspann an seinen PC setzte, um ein paar Mails zu beantworten, schlug ich drei Kreuze. Ich wünschte ihm eine gute Nacht und verzog mich in mein Zimmer.
    Ohne Licht zu machen, trat ich ans offene Fenster und sah hinaus. Finsternis hatte sich über meine verwunschenen Gärten gelegt, aber ich wusste auch blind, wo Marlons Hütte stand. Dass er mich durch die Dunkelheit hindurch nicht sehen konnte, gefiel mir.
    Ich hätte mir Stille gewünscht, doch so etwas gab es in unserem Haus nicht. Ständig hörte man den Fernseher der Nachbarn murmeln, eine Klospülung fauchen oder das Gluckern der Rohre. Permanentes Grummeln und Brummen, als knurre dem Haus vor Hunger auf Leben der Magen. Ich schaltete den CD-Player ein, ohne darauf zu achten, was drinlag. Zufallsauswahl. Bevor die ersten Klänge aus den Boxen ertönten, saß ich bereits wieder auf der Fensterbank, mein Papierpäckchen im Schoß haltend. Ich liebte es, die Spannung hinauszuzögern und meine Neugier anzufachen wie ein Feuer, dem ich Tropfen für Tropfen Spiritus zugab. Die Musik begann – Luxuslärm. Das Lied fing melancholisch an und war ein wenig zu laut für die späte Stunde, doch ich stand nicht auf, um es leiser zu drehen. Stattdessen sehnte ich mich den Tönen hinterher, die frei wie Vögel aus meinem Zimmer flogen, sich durch die dichten Baumkronen schlängelten und leiser, sanfter, zerbrechlicher werdend über die flachen Dächer der Gartenlauben strichen. Denn ich hab dich nie gehalten, ich hab dich nie vermisst, ich weiß nicht, wer du warst, nicht, wer du bist.
    Das traf es gut. Meine Finger fuhren hauchzart über das Papier in meinen Händen. Ich genoss das Gefühl und zugleich versuchte ich es zu unterbinden.
    Was war nur los mit mir? Sollte ich Oliviers Warnung nicht etwas ernster nehmen? Mein Bauch war sich sicher und sagte: Nö.
    Ich zelebrierte das Entfalten, strich jeden Knick sanft glatt und horchte auf das Rascheln, mit dem der Wind über die Zeilen strich, als würde

Weitere Kostenlose Bücher