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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Dreck.« Er hielt mir eine tintenverschmierte Hand hin. Die linke. »Nimm an oder lass es. Ganz einfach.«
    Einfach war es ganz und gar nicht. Er hatte mich nicht eine dumme Pute genannt, am Zopf gezogen oder in den Müllcontainer geworfen. Er und seine Freunde hatten mich entführt. Er selbst hatte meine Familie bedroht.
    Marlon seufzte schwer, da ich seine Hand nur anstarrte, aber nicht ergriff. »Wenn du mir glauben würdest«, meinte er, »könnte ich dir mehr sagen.«
    Â»Wenn du mir mehr sagen würdest, könnte ich dir vielleicht ein bisschen glauben.«
    Auf seiner linken Wange zeichnete sich ein Grübchen ab, offenbar sollte das mal ein Lächeln werden, zu dem er sich noch nicht überwinden konnte. »Ich soll eine Tatsache gegen ein Vielleicht und ein bisschen eintauschen? Schlechter Handel.«
    Diesmal streckte ich die Hand aus, getrieben von plötzlicher Courage. »Schlag ein oder lass es. Mehr bekommst du nicht.«
    Seine Hand war kühl, als er meine ergriff, kurz und kräftig drückte und dann wieder losließ.
    Â»Also«, sagte ich. »Fangen wir mit etwas Leichtem an. Bist du mir heute wieder gefolgt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich habe gesehen, dass du mit deiner Mutter weggefahren bist.«
    Allein dieses Wissen war für meinen Geschmack schon zu viel. Aber ich beließ es dabei, aus Erleichterung, weil er demnach nicht wusste, dass ich Olivier getroffen hatte. »Okay, noch eine Frage: Was ist heute passiert? Warum bist du so unruhig?«
    Kurz dachte ich, Marlon würde sofort wieder dichtmachen, denn er wandte sich ab und trat an die Küchenzeile. Doch nachdem er Wasser in den Kessel gefüllt und den Gaskocher mit einem Streichholz entzündet hatte, begann er leise zu sprechen.
    Â»Corbin geht es nicht gut. Aber das interessiert dich vermutlich weniger, oder?«
    Mein Mitgefühl mit diesem Grobian hielt sich tatsächlich in Grenzen. Meine Neugier nicht. »Was ist mit ihm?«
    Â»Es ist … eine Art Erbkrankheit.« Marlon stellte den Kessel auf die Flamme, doch er drehte sich immer noch nicht um. Er legte die Hände auf die Arbeitsplatte, selbst in dem schummrigen Düster, das in der Hütte vorherrschte, sah ich die Anspannung in seinen gespreizten Fingern. »Im letzten Jahr fingen die Anfälle an. Zuerst nur vereinzelt und kurz, es beeinträchtigte ihn kaum und er spürte nach dem ersten Mal monatelang nichts. Aber die Abstände wurden kürzer, die Anfälle dafür länger. Heute war es so weit, dass ich dachte –« Er brach ab. Seine Schultern zuckten und ich hatte plötzlich den bitteren Geschmack von Galle im Mund.
    Â»Das tut mir leid«, murmelte ich. »Solltest du nicht bei ihm sein?«
    Â»Er hat mich weggeschickt, kaum dass er wieder sprechen konnte. Emma ist bei ihm.«
    Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl und spielte an den Nähten meiner kurzen Hose herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht einmal, was ich denken sollte. Konnte ich ihm überhaupt glauben? Es half, wenigstens meine Hände zu bewegen. Marlon schien es ähnlich zu gehen, er wischte zwei Tassen mit einem Tuch aus.
    Â»Habt ihr wegen mir Streit?«, fragte ich vorsichtig.
    Er drehte sich zu mir um und musterte mich mit schief gelegtem Kopf. »Das braucht dich nicht kümmern.«
    Â»Tut es aber.«
    Er zögerte. »Nein, nicht deinetwegen«, sagte er dann. »Wir hatten Streit, weil wir uns wegen dir uneinig waren. Es war unsere Schuld, nicht deine. Wenn du es genau wissen willst«, er lachte leise, »war es eigentlich allein Corbins Schuld.«
    Ich bemühte mich zu lächeln und er widmete sich wieder dem Geschirr.
    Â»Was ist das für eine Krankheit?«, wollte ich wissen. Eine Erbkrankheit hatte Marlon es genannt. Ob er sie auch hatte? Wieder schien uns meine Frage auf dünnes Eis zu führen, denn er ließ sich mit seiner Antwort Zeit.
    Schließlich sagte er in seltsam förmlichem Ton: »Mir wäre es lieb, wenn wir diesen Punkt vertagen könnten. Kaffee? Ich habe nur diesen Cappuccino aus der Dose, aber –«
    Â»Verdammt!« Ich sprang auf. Marlon hielt eine Packung von Papas Lieblingskaffee in der Hand, die mich daran erinnerte, dass mein Vater in Kürze nach Hause kommen und meinen Ausflug bemerken würde. »Entschuldige, aber ich muss gehen.«
    Es lag sicherlich am nachlassenden Licht, aber

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