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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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lausigen Schloss daran gehindert wurde. Aber während ich noch mit meinen Wünschen beschäftigt war, ohne mich zu trauen, sie in die Tat umzusetzen, fing Marlon sich bereits wieder. Über seinen Augen lag erneut der Schatten aus Misstrauen, gegen das er ankämpfte, ohne es besiegen zu können.
    Â»Ich nehme an, sie sind weg. Wir sollten von hier verschwinden, ich weiß, wo es sicher ist.« Er stand auf und half mir auf die Füße.
    Â»Redest du dann mit mir?«, fragte ich. »Sagst du mir alles?«
    Er nickte, aber seine Skepsis legte sich nicht. Er traute mir nicht, noch immer nicht.
    Â»Wirklich? Alles, was ich wissen will?«
    Â»Mehr, als du wissen willst«, antwortete er und zog einen Mundwinkel hoch, aber sein Gesicht zeigte eine Grimasse statt einem Lächeln.
    Wir verließen unser Versteck und hielten uns auf belebten Straßen, die in Richtung Innenstadt führten. Immer wieder verharrte Marlon. Lauschte. Seine Blicke waren überall, er nahm jede Bewegung ins Visier, sah in jeden Türeingang und in jedes Fenster. Meine Hand blieb in seiner. Nicht, weil er sie festhielt. Sondern weil sie dort hingehörte.
    Plötzlich, ohne dass ich auch nur etwas Verdächtiges erahnt hätte, drehte er auf dem Absatz um, zog mich mit sich und wir rannten los. Ich blickte über meine Schulter. Aus einem dieser Ein-Euro-Geschäfte kamen drei Männer, sie stürmten uns ohne ein Zögern nach. Ich sah ihre Gesichter nicht, sah nur, dass auch sie diese Westen trugen, unter denen der Angreifer auf dem Friedhof sein Pistolenholster versteckt hatte. Sie waren ebenso bewaffnet.
    Â»Lauf!«, schrie ich, dabei taten wir das schon, als wäre der Teufel hinter uns her. In meinem Kopf wirbelten tausend Gedanken durcheinander. Sollten wir in ein Geschäft rennen? Um Hilfe schreien, die Polizei rufen? Dort, wo sich bei klarem Verstand Antworten bilden, war bei mir nur Leere.
    Blind vertraute ich Marlon, der zumindest den Gegner kannte und – so hoffte ich mit aller Kraft – wusste, was zu tun war.
    Wir hetzten um eine Ecke, über einen Zebrastreifen. Reifen quietschten. Hupen jaulten. Wir rannten weiter, einfach weiter, immer weiter. Ich war nicht unsportlich und besaß Ausdauer, aber bald schmerzten mir vom Rennen die Seiten und meine Kehle fühlte sich an, als schluckte ich Schmirgelpapier statt Luft. Wir stolperten um eine weitere Ecke und dann stoppte ich aus vollem Lauf so hart, dass Marlon mir fast den Arm ausriss.
    Er wollte die Treppe runter, die zur U-Bahn-Haltestelle führte!
    Â»Noa!« Er griff erneut nach meinem Arm, zog und zerrte, aber ich rammte die Fersen in den Boden. Ich konnte nicht. Ich konnte nicht dort runtergehen. In meinen Ohren rauschte es. Ich hörte nicht länger, was Marlon sagte, sah nur, wie sich seine Lippen bewegten.
    Und dann tat er etwas, das ich als Letztes erwartet hätte.
    Mit vor Anstrengung zitternden Händen strich er mir die Haare aus dem Gesicht, fuhr mir über die Wange, verrieb das Regenwasser auf meiner Haut und senkte die Stirn an meine. Schloss die Augen, als hätten wir alle Zeit der Welt. Vermutlich dauerte es nur den Bruchteil einer Sekunde, aber mir erschien es wie eine Ewigkeit, bis ich mich beruhigt hatte und seine Worte wieder verstand.
    Â»Ich weiß, dass du Angst hast«, flüsterte er. »Die habe ich auch. Aber die werden mich umbringen, wenn sie uns erwischen. Du musst mir jetzt vertrauen.«
    Ich musste.
    Es war kein bewusster Entschluss oder gar Vernunft, die mich dazu brachte, ihm die Treppe hinunter zur U-Bahn zu folgen. Ich musste einfach. Um ehrlich zu sein, spürte ich sogar einen Anflug von Misstrauen angesichts seiner Worte. Irgendwie fühlte es sich falsch an, auch wenn ich es nicht benennen konnte. Dennoch musste ich ihm folgen.
    Ich stakste hinter Marlon her, in plötzliche Gleichgültigkeit gewickelt wie eine Mumie in Stoff. Als wir den Regen hinter uns ließen und in den schwach beleuchteten U-Bahnhof eintauchten, spürte ich, wie die Angst auf mich eindrosch, aber sie erreichte mich nicht. Es war wie in einem Traum: Monster greifen dich an, schlagen mit Klauen nach dir, aber du spürst keinen Schmerz, denn in Wahrheit liegst du ja sicher in deinem Bett. Ich wurde zum Beobachter, sorgte mich zwar noch um mich und Marlon, war aber nicht mehr imstande einzugreifen.
    Der Bahnsteig war leer, die Rücklichter eines Zuges verschwanden gerade im Tunnel. Hatte

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