Himmelskinder
hinunter.
»Wie der Chef. Jetzt kannst du auch alles haben, ich bestelle mir einen neuen.«
»Komm, sei friedlich. Hunger ist schlimmer als Heimweh, hat meine Großmutter schon immer gesagt. Ich bestelle dir einen neuen. Dann kann ich ja hier weiter essen, was?«
»Klar, iss ruhig. Ich bin schon ziemlich rumgekommen, aber was du und Alvermann so wegfresst!«
»Na ja, das ist das, was uns vom Leben noch bleibt«, erklärte Masur und rief nach der Kellnerin.
Bald waren alle bis auf Alvermann anwesend. Er hatte angekündigt, dass das lka seiner Eilaufforderung nachkommen und ihm die Ergebnisse noch am Abend zumailen wollte.
Als er endlich erschien, trat erwartungsvolle Stille ein.
»Wir müssen uns noch gedulden. Obwohl die mit seinem Blut arbeiten können, brauchen die noch. Spätestens morgen früh.«
Die Spannung ließ merklich nach. Weitere Vorspeisenteller wurden geordert. Masur berichtete von seiner Schicht. Bartholdy habe Besuch von einem Professor Stein bekommen.
»Nach endlosem Geschwafel über Rotweine aus Frankreich und den richtigen Korkenzieher wollte ich schon reingehen und mal ein anderes Thema vorschlagen. Die sind mir so was von auf den Sack gegangen. Und dann hat unser Bartholdy zu einer kleinen privaten Weinprobe geladen. Ich erspare mir weitere Schilderungen. Was die da an dem einen Abend weggesoffen haben, davon kann eine fünfköpfige Familie in Freuden einen Monat leben. Dann kamen sie endlich zum Thema, Rechtsbeugung in unserem schönen Land. Soweit ich das verstanden habe, bemängelte Stein, dass die Justiz sich vorsorglich einen Selbstschutz für richterliches Fehlverhalten geschaffen habe. Nicht etwa eine unabhängige Institution entscheide darüber, ob eine Rechtsbeugung vorliege, diese Bewertung behalte sich die Justiz selbst vor. Junge, Junge, da ging die Post ab. Bartholdy ist regelrecht ausgeflippt.«
»Und, wie ging es aus?«, wollte Meiners wissen.
»Ich weiß es nicht. Plötzlich donnerte mir Wagner um die Ohren, und die beiden haben geröhrt wie die Hirsche.«
»Bitte?«
»Die haben mitgesungen.«
Bulleken, der die letzte Schicht am Wochenende bis Montag früh hatte, beklagte sich darüber, dass nicht ein Ton an sein Ohr gedrungen sei.
»Ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen oder so ähnlich. Trifft auf unseren Freund zu«, feixte Meiners und verabschiedete sich. Er hatte die nächste Schicht.
Sie mussten warten, bis sie die Ergebnisse vom lka hatten. Vorher waren ihnen die Hände gebunden. Niemand zweifelte an einer Übereinstimmung.
»Was machen wir mit dem Antrag, den wir bei unserer Frau Doktor liegen haben?«
»Ganz einfach, Bulleken, den erneuern wir alle drei Tage, damit sie keine Probleme kriegt und … äh … wir auch nicht«, beschied Alvermann. Er hatte sich rundherum an den Vorspeisen gütlich getan.
»Warum bestellst du dir nicht selber einen?«, hatte Masur gemeckert.
»Fragte wer?«, wollte Bulleken wissen.
»Bin heute zum Essen eingeladen, da isst man sich vorher nicht satt.«
»Das merkt man.«
Masur hob sich seinen Teller auf den Schoß und grinste.
»Übrigens«, teilte er kauend mit, »kam heute in den Nachrichten, der Rössler hat sich totgefahren, irgendwo auf der Landstraße. Armer Kerl, der hatte noch viel vor. Aber politisch gesehen können wir froh sein. Der hatte ein Herz für die Dagoberts dieser Welt.«
»Wer sind die?«, wollte Bulleken wissen.
»Sag mal, mit wem hast du eigentlich deine Kindheit verbracht?«
48
Janne hatte Alvermann mit der Ankündigung eingeladen, sie wollte für ihn kochen. Alvermann, der um ihre Kochkünste wusste, hatte deshalb beim Griechen ordentlich zugelangt. Vorsichtshalber hatte er auch noch für einen sättigenden Nachtisch gesorgt. Er war bei seinem Lieblingsitaliener vorbeigefahren und hatte eine »Torta al limone« besorgt. Janne wunderte sich nicht über den Riesenkarton.
»Du traust meinen Kochkünsten nicht, was ich verstehe. Obwohl, ich glaube, dieses Mal habe ich mich selbst übertroffen, du wirst sehen. Was darf es zum Anfang sein?«
»Auf keinen Fall Kaffee, habe bestimmt zwei Kannen intus. Ich versuche es mal mit einem Tee und einem nassen Kuss.«
Im Anschluss an die feuchtfröhliche Begegnung erzählte Alvermann von seinem kleinen Gast, während Janne in der offenen Küche, die sich an ihr Wohnzimmer anschloss, hantierte.
»Wie lange soll er bei dir bleiben, hm? Er muss zur Schule und einen geregelten Tag haben. Bei dir hat er es gut, für den Moment, und du genießt es auch,
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