Himmelsschatten
– Hunderte von JSC -Mitarbeitern wussten davon. Aber weder der Direktor noch seine Tochter, die Astronautin, machten viel Aufhebens davon. Harley konnte nur ahnen, was jetzt in Jones’ Kopf vorgehen musste …
»Sie schlug ganz in der Nähe der Brahma wieder auf dem Boden auf. Sie erhalten immer noch Daten aus ihrem Anzug. Zack ist schon unterwegs.«
»Das ist gut.« Mit den Lippen formte er für Rachel die Botschaft Yvonne ist okay und reckte den Daumen in die Höhe, als er die Verbindung unterbrach.
»Was soll das heißen, sie ist okay?«, fragte Rachel, die ihm eindeutig nicht glaubte.
»Entschuldige, ich hätte sagen sollen Sie ist am Leben . Deinetwegen mache ich mir mehr Sorgen.«
Rachel warf einen Blick auf ihre Freundin, die schluchzte. »Tja, ich dreh am Rad.« Ihr Verhalten widersprach der Aussage; sie wirkte nervös, aber beherrscht.
Harley berührte ihre Hand. »Wenn du nicht mal ein bisschen ausflippst, dann begreifst du die Situation nicht.«
»Erzähl mir noch mal, warum mein Vater das für eine gute Idee hielt.«
»Später vielleicht, wenn ich noch mal zurückkomme.« Im Laufe des vergangenen Jahres waren er und Rachel fast so etwas wie Freunde geworden, die gemeinsam erlebte Tragödie verband sie miteinander – doch hauptsächlich, weil sie beide von Keanu fasziniert waren. Allerdings hatte Rachel das extrasolare NEO nur bis zu dem Tag geliebt, als ihr Vater ausgewählt wurde, es zu erforschen. »Weldon verlangt von mir, dass ich ihm die Struktur des Universums erkläre …«
»Dann geh mal lieber. Von mir aus kannst du dich ruhig darum kümmern.«
»Bin schon weg.« Harley war nicht der Standard- CACO – bei der Destiny -7-Mission hatte er noch andere Pflichten. Als Zack ihn fragte, ob er es übernehmen würde, für Rachel zu sorgen, hatte er zuerst abgelehnt mit den Worten: »Um Gottes willen, hast du vergessen, was das letzte Mal passiert ist, als ich euer CACO war?« Aber Rachel hatte darauf bestanden … und sich durchgesetzt.
Er wendete seinen Rollstuhl und rollte zum Home-Team zurück.
Harley Drake hatte bei dem Autounfall eine Rückenmarksverletzung im Thoraxbereich erlitten, Stufe T1; seit nunmehr zwei Jahren lebte er mit den Konsequenzen, die ein breites Spektrum umfassten. Zum einen waren da die Schmerzen und die generelle Erniedrigung. Dann die entsetzliche Erkenntnis, dass es für ihn kein Sexualleben mehr geben würde … er war harn- und stuhlinkontinent … musste das Fliegen aufgeben … den Umgang mit einem Rollstuhl lernen.
Doch was Harley an diesem Tag am meisten zusetzte, war das Gefühl, an einer Stelle festgenagelt zu sein. Gewiss, er war digital vernetzt, hatte Bluetooth und brannte darauf, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Aber er fand es schier unerträglich, dass er nicht aufstehen, herumlaufen und mit den Händen gestikulieren konnte. Er war wie Sundance Kid aus diesem alten Western: »Kann ich mich bewegen? – Dann schieß ich nämlich besse r !«
Vielleicht dauerte es deshalb so lange, bis er erkannte, was die Keanu-Daten eindeutig offenbarten.
Er kehrte in den Raum des Home-Teams zurück, in dem ein unerträglicher Krach herrschte. Der Konferenztisch war überhäuft mit Laptops und Ausdrucken, und auf ihn kam wieder die undankbare Aufgabe zu, sieben streitlustige, lärmende, kompetente Spezialisten zu bändigen. Das Spektrum reichte von dem fünfundsiebzig Jahre alten Wade Williams, einem populären Autor auf dem Gebiet der Astronomie – einer von JSC -Direktor Jones’ Idolen, und nur aus diesem einzigen Grund tolerierte Harley den arroganten, halb tauben Trottel –, bis zu der zweiunddreißigjährigen Sasha Blaine, einer brillanten Wissenschaftlerin, die gerade in Yale ihren Doktor gemacht hatte und nicht nur wegen ihrer super Figur, sondern auch wegen ihres beeindruckenden IQ Auf merksamkeit erregte. Über Skype konnte man sich außerdem noch weitere Ideen einholen … zum Teufel, Harley kam sich eher vor wie ein Feldwebel denn wie ein Projektleiter. »Ist ja gut, Leute! Gott verdammt noch mal!«
Sein Ausbruch brachte die Gruppe nicht zum Schweigen, aber der Dezibelpegel reduzierte sich so weit, dass Harley sich Gehör verschaffen konnte. Wahrscheinlich konnten sie von Glück sagen, dass seine Mobilität eingeschränkt war, andernfalls hätte er sich vielleicht dazu hinreißen lassen, jemanden zu schlagen.
»Das hier ist kein Scheiß-Seminar. Wir sind das Team, das die Mission in einer kritischen, realen Situation unterstützen
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