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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Stimme:
    »Haaallo?«
    »Hallo?«
    »Hier ist Sunil? Ist Mina Aaali zu sprechen?«
    »Wer?«
    »Miiina?«
    »Mina?«
    »Jaaa?«
    Es war eine seltsame Stimme, die alles mit dem immer gleichen, singenden Tonfall belegte und aus keinem ersichtlichen Grund die Silben langzog, so dass jeder Satz wie eine Frage klang.
    »Wer ist am Apparat?«
    »Sunil?« Er zögerte. »Bist du Haaayat?«
    »Mhh-hmm.«
    »Ich hab schon von dir gehöört? Ich freu mich schoon, dich keeennenzulernen?«
    Mir wollte einfach nicht in den Schädel, warum er so redete.
    »Ich würde geern mit deiner Tante Miiina reeeden?«
    »Gut. Ich hole sie.«
    »Daanke, Behta? «
    Ich sah ins Fernsehzimmer, wo Mina auf der Couch saß, die Hand bereits auf dem Hörer.
    »Es ist für dich, Tante.«
    »Sunil?«
    »Ja.«
    »Gut, mein Lieber«, sagte sie.
    Ich dankte Allah, dass sich scheinbar alles zum Besten wandte. Mutter erklärte, wenn Sunil und Mina heirateten, hätte Mina keinerlei Schwierigkeiten, in Amerika zu bleiben, und Imran wäre in Sicherheit. Dankbar und mit wiedererwachter Hingabe begann ich daher regelmäßig zu beten und achtete darauf, kein einziges der fünf täglichen Gebete auszulassen. Und da ich mich dabei zu Hause nicht erwischen lassen durfte, dachte ich mir meinen ganz eigenen Ritus aus. Ich berief mich auf Minas Ausspruch, wonach allein die innere Einstellung zählt, sah von den traditionellen Worten und Gebärden des Namaz ab, setzte mich zu den üblichen Gebetszeiten stattdessen nur still hin, schloss die Augen und stellte mir vor, ich sei in Allahs Nähe. Manchmal stellte ich ihn mir als Wolke am Himmel vor, manchmal während er auf einem goldenen Thron saß, manchmal nur als großes weißes Licht. Immer aber bildete ich mir ein, er wäre ganz nah bei mir. Und dann wartete ich, lauschte auf meinen Atem, bis Stille eintrat. Dann murmelte ich:
    »Ich gebe mich dir hin.«
    Das war alles. Ich weiß nicht, woher ich es hatte, aber es fühlte sich irgendwie richtig an. Als müsste ich es Gott sagen.
    So machte ich das überall. Im Schulbus. In der Pause. Im Klassenzimmer. Im Garten. In meinem Zimmer. In der Mall. Ich setzte mich irgendwo ruhig hin, schloss die Augen und murmelte: »Ich gebe mich dir hin.« Manchmal spürte ich nach einem solchen Gebet etwas – eine Wärme, ein Leuchten –, das auch andere in meinem Blick wahrnehmen konnten. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie nicht die geringste Ahnung hatten, was der Grund dafür war. Keiner wusste, was ich machte.
    Und was mein Ziel betraf, ein Hafiz zu werden: Ich machte nicht nur weiter, sondern strengte mich noch mehr an als jemals zuvor. Minas unausweichlicher Abschied schürte in mir einen Eifer und ließ mich im Glauben das suchen, was ich mit ihr verlieren würde. In der Schulbibliothek gab es eine Koranausgabe, einen kleinen roten Band, der von einem Ronald McGhee übersetzt worden war. Die Ausgabe besaß ein Vorwort, das mich hätte aufschrecken lassen sollen. Darin wurde von der Notwendigkeit einer »unvoreingenommenen Fassung der Bibel der Moslems« gesprochen, damit die westliche Leserschaft ein für alle Mal verstünde, wie »wahrhaft barbarisch, ja tierisch« diese »Moslems« wären und warum sich »das Christentum auf einen neuen Kreuzzug vorzubereiten« habe. In der Not aber, redete ich mir ein, frisst der Teufel Fliegen, und da die McGhee-Übertragung der mir bereits bekannten Verse erkennbar genug war, scherte ich mich nicht um seine Meinung. Ich brauchte nur die Worte. Ich lieh mir das Buch aus, bewahrte es in meinem Pult in der Schule auf und verlängerte alle drei Wochen die Ausleihfrist – die auf eine Karte gestempelt wurde, die wiederum in einer Lasche hinten im Buchdeckel steckte (und die anzeigte, dass es zwanzig Jahre her war, dass sich jemand vor mir das Buch ausgeliehen hatte). Oft saß ich in den Pausen in einer Ecke des Schulhofs und arbeitete mich durch neue Suren. Meine Klassenkameraden hänselten mich zunächst, aber nach ein paar Wochen, in denen sie sich an meine halbstündigen Koranstudien gewöhnten, war ich für sie ebenso interessant wie die neu gepflanzten Ahorne im Schulhof. Natürlich gab es Zeiten, in denen ich nicht mehr weitermachen wollte, in denen ich lieber beim Kickball oder Football mitgemacht hätte. Aber ich redete mir ein, was ich tat, wäre wichtiger als jedes Spiel. Wenn der Koran eines klarstellte, dann, dass das Leben auf Erden vergänglich war; wer sich etwas anderes einredete, beging einen gravierenden Fehler. Und daher sah

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