Himmelssucher - Roman
ich die Sache so: Das Leben war wie eine Fernsehsendung, die man sehr mochte. Man wollte nicht, dass sie aufhörte. Aber irgendwann, früher oder später, würde sie aufhören; so war es nun mal. Und wenn sie vorbei war, musste man mit dem Alltag weitermachen. Je eher man sich auf das vorbereitete, was danach kam, umso besser.
Es war ein früher Sonntagmorgen Mitte Oktober. Nachdem ich bei Sonnenaufgang aufgewacht war und auf der Bettkante nach meiner Art gebetet hatte, ging ich mit einer Schale Frühstücksflocken nach unten ins Fernsehzimmer. Irgendwann hörte ich Vater oben auf der Treppe eine Begrüßung murmeln, bevor er in der Küche verschwand, um sich einen Tee zu machen. Kurz klapperten Tassen, es wurde eingeschenkt, dann kam Mutter. Es dauerte nicht lange, bis Vater brüllte:
»Es interessiert mich nicht! Ich will nicht dabei sein! Und ich werde auch nicht dabei sein! Ich habe in meinem Leben Besseres zu tun! Wenn sie bei diesem Trottel schon nicht auf mich hören will, dann muss ich wenigstens nicht auch noch mitmachen!«
»Beruhige dich, Naveed!«
Etwas schepperte. Ich sah zur Treppe, die zur Küche hinaufführte. Vater stand an dem Schränkchen, in dem er und Mutter ihre Schlüssel aufbewahrten.
»Wo willst du hin?«, fragte Mutter in scharfem Ton.
»Zum Angeln. Was glaubst du denn?«
Vater sah zu mir, unsere Blicke trafen sich. Einen Moment glaubte ich, er würde mich fragen, ob ich mitkommen wolle. Aber er tat es nicht.
Worum es bei dem Gespräch gegangen war, erfuhr ich später, als ich mich in der Küche herumtrieb, während Mina und Mutter frühstückten: Sunil sollte zu Besuch kommen. Es war nicht das erste Mal, dass sich Mina und Imran mit ihm getroffen hatten; sie waren in den vergangenen Wochen einige Male mit Mutter bei Chatha zu Besuch gewesen. Aber jetzt sollte Sunil zum ersten Mal zu uns kommen. Eigentlich hätte Sunil dabei Vater kennenlernen sollen, wovon dieser aber nichts wissen wollte. Er war immer noch wütend wegen der Geschichte zwischen Nathan und Mina, und die neuesten Entwicklungen mit »diesem Chatha-Vetter« – so nannte er Sunil – hielt er schlichtweg für einen schlechten Scherz.
Mutter war es egal, wenn er nicht da war, nur Mina zeigte sich besorgt.
»Das ist nicht gut, Bhaj «, sagte Mina.
»Es spielt doch keine Rolle.«
»Es spielt eine Rolle«, widersprach Mina, legte ihre Toastscheibe ab und schob den Teller weg.
»Du bist doch nicht schon fertig, oder?«
»Ich hab keinen Hunger.«
»Du isst überhaupt nichts mehr. Ich mach mir Sorgen. Du siehst auch nicht gut aus … Nicht wahr, Hayat?«, fragte mich Mutter. Es stimmte. Mina sah aus, als hätte sie abgenommen, obwohl an ihr nie viel gewesen war, was sie hätte abnehmen können. Die Haut in ihrem Gesicht war so straff gespannt, dass es unnatürlich wirkte. Aber das wollte ich ihr nicht sagen, um sie nicht zu kränken.
»Der Tee reicht«, erwiderte Mina.
»Hayat, bring ihr ein Glas Milch.«
» Bhaj …«
»Und iss deinen Toast auf«, sagte Mutter streng.
»Gut«, murmelte Mina und nahm einen Bissen von ihrer halb verzehrten Toastscheibe. Ich schenkte ein Glas Milch ein und brachte es ihr. Sie nippte daran.
»So schlecht ging es dir nicht mehr, seitdem wir Kinder waren«, sagte Mutter.
»Es ist nichts. Es geht vorbei. Mein Teller ist doch voll.«
Mutter sah auf Minas Teller. »Nicht so voll, wie er sein sollte.«
Mina lachte. Mutter fiel mit ein. Dann verstummte Mutter schlagartig. Ernst sah sie ihrer Freundin in die Augen. »Tun wir wirklich das Richtige?«, fragte sie.
»Das Richtige?«
»Willst du das alles wirklich?«
»Muneer. Wir ziehen es durch.«
Mutter nickte und senkte den Blick. Es folgte eine lange Pause.
»Also, was machen wir mit den Chathas?«, fragte Mina schließlich.
»Was meinst du?«
»Zwei Frauen, die einen merkwürdigen Mann bei sich zu Hause empfangen? Ohne dass der Hausherr anwesend ist? Wenn Najat davon erfährt …«
Mutter wirkte verwirrt. »Was meinst du?«
»Was werde ich wohl meinen?«
Mutter kniff die Augen zusammen. Sie hatte keine Ahnung.
Mina drehte mir den Rücken zu und fuhr leiser fort: »Sie werden uns für sittenlos halten.«
»Weil Naveed nicht hier ist?«, erwiderte Mutter ebenso leise.
»Muss ich es dir wirklich erklären? Das kann doch nicht dein Ernst sein, Bhaj ?«
Mutter rollte mit den Augen. »Es ist doch nicht möglich, dass sie so etwas denkt. Du warst, wie oft, ein halbes Dutzend Mal mit Imran bei ihnen …«
»Aber es war immer
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