Hinter deiner Tür - Aktionspreis (German Edition)
Kopf auf die Hände. Auf einem
großen Stück waren die Worte „Liebe Lena!“ zu erkennen.
Weiter unten ein paar völlig blödsinnige Sätze. Fand Thilo. Er
konnte seine Gefühle gut in einem Gedicht ausdrücken. Sein
Notizblock war voll von handgeschriebener Lyrik, aber einen
einfachen Brief an Lena – dazu fühlte er sich nicht in der Lage.
Genervt stützte er seinen Kopf auf dem rechten Arm ab, nahm
einen neuen Briefbogen und schrieb:
Liebe Lena!
Ab und zu sah er nach Niklas. Sein Sohn hatte die
gesamten Spielsachen im Wohnzimmer verteilt und fuhr mit dem
Bobbycar im Kreis.
„Ich weiß, wir kennen uns kaum. Aber ich wollte dich
gerne besser kennenlernen. Deshalb habe ich dich gefragt, ob du
mit ....“
Nein, so funktionierte das nicht! Aber ein Gedicht wäre
wohl etwas übertrieben. Er zerknüllte den Bogen und warf ihn
auf den Boden. Anschließend hob Thilo alles wieder auf,
schmiss es in den Mülleimer und widmete sich seinem Sohn.
Irgendwo mussten Bauklötze in dem Chaos versteckt sein; der
Kleine liebte diese bunten Steine. Als Thilo sie in einer Kiste
hinter der Couch fand, stapelten sie gemeinsam die großen Legos
übereinander. Der Turm wuchs so schnell wie Thilos Unmut.
Seine Gedanken kreisten um das heutige Gruppentreffen.
Worüber sie wohl gerade sprachen? Seit Lena nicht wieder zum
Yoga erschienen war, ging es ihm nicht gut. Schlaflose Nächte.
Endlosschleife.
Deshalb hatte er auch Melissa angerufen und für heute
abgesagt, ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter
hinterlassen.
Zwar war er nicht wirklich krank, aber zu müde. Der
Turm brach zusammen. Niklas lachte.
„Papa, aufbauen. Zu Mama gehen. Wo Mama?“
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20
„Hallo Lena, schön dich zu sehen!“, begrüßte mich
Melissa, als wäre kein Monat seit unserem letzten Treffen
vergangen.
„Sebastian“, sie nickte ihm zu und führte uns in ein
schönes Wohnzimmer. Die anderen saßen auf einer großen roten
Couch. Ich wurde herzlich begrüßt.
Du kannst dich entspannen, Süße. Hier will dir niemand
etwas Böses!
Melissa begrüßte die Teilnehmer und erklärte, Thilo hätte
für heute abgesagt, da er sich nicht wohl fühle. Die anderen
bedauerten seine Abwesenheit. Ich aber war nicht unglücklich
darüber.
Unauffällig beobachtete ich die Runde. Hans sah mit
seinen spärlicher werdenden Haaren älter aus als er war. Er
wirkte ziemlich fertig, beinahe verlebt und saß unruhig auf
seinem Sessel.
„Ich würde gerne wissen, wie ihr so mit euren Eltern
klarkommt“, sagte er. Scheinbar konnte er es kaum abwarten zu
erzählen. Er wohnte bei seiner Mutter, die Eltern wären
geschieden, an seinen Vater konnte er sich nicht erinnern.
Darunter schien er immer noch sehr zu leiden. Dabei war er doch
erwachsen.
„Du solltest deinen Vater kennenlernen“, meinte Melissa.
Sie untersuchte ununterbrochen ihre langen blonden
Haarsträhnen und biss gespaltene Spitzen ab. „Übrigens habe ich
euch heute etwas mitgebracht.“ Sie verteilte kleine
Schokoladennikoläuse.
„Das ist ja süß von dir, Melissa!“ Die anderen stimmten
mir zu. Wir umarmten sie kurz.
„Wir helfen dir dabei, Hans“, nahm Melissa das Thema
wieder auf.
„Ich weiß nicht“, wendete dieser ein. „Was ist, wenn er
mich nicht sehen will?“
„Zuerst einmal musst du ihn finden. Ich kann gerne für
dich recherchieren. Sei froh, dass er noch lebt und du diese
Möglichkeit hast. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ganz
klein war“, erzählte Anja, die ich auf Mitte zwanzig schätzte. Sie
war sehr hübsch mit ihren rotblonden langen Haaren, vielen
Sommersprossen und schönem Dekolleté, schien jedoch eher
zurückhaltend zu sein. „Seit wir vor Kurzem über meine Mutter
gesprochen haben, denke ich wieder oft an sie“, sagte Anja und
blinzelte.
Die hatten es ja alle ganz schön schwer. Meine Eltern
lebten noch! Fetzen aus der Kindheit schwebten an mir vorbei.
Mama war früher anders, ich war noch sehr klein.
Süße, nicht abschweifen, konzentrier dich auf die Gruppe!
Melissa berichtete an ihren Haaren zibbelnd, dass sie viele
Geschwister hatte und die Älteste sei. Somit hätte sie ihre völlig
überforderte Mutter immer ein wenig bei der Erziehung der
Jüngeren unterstützen müssen. Das fünfte Kind wäre leider
behindert geboren. Ihr Bruder lebte heute die meiste Zeit in
einem betreuten Heim, aber bis dahin sei es sehr schwierig
gewesen.
„Ich habe mir immer mehr Anerkennung von
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