Hinter der Nacht (German Edition)
Ich fühlte mich so
benebelt, als hätte ich kurz vor dem Unterricht eine weitere Flasche Whisky auf
Ex geleert. Alles verschwamm in meinem Kopf zu einem grauschwarzen Dunst,
untermalt von einem tiefen, beständigen Donnergrollen, das es mir unmöglich
machte, irgendetwas anderes um mich herum wahrzunehmen.
Als der Gong
ertönte, sprang Arik neben mir wie von der Tarantel gestochen auf und stürmte
aus der Klasse. Er, der sich sonst bisher eher im Schildkrötentempo bewegt
hatte (wenn er nicht gerade auf seinem Motorrad saß), schien mit einem
Riesenschritt an der Tür und dann draußen zu sein, ehe ich auch nur bis eins
hätte zählen können. Ich blinzelte verwirrt und schüttelte benommen den Kopf.
Zum Glück löste sich auch mein Bann, kaum dass er weg war.
Diesmal meldete
ich mich schon nach der dritten Stunde krank, und die Kopfschmerzen waren im
Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen nicht vorgeschoben.
Der Donnerstag
begann mit dichten, tief hängenden Wolken, aus denen es wie aus Eimern
schüttete. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Zunächst war ich fest
entschlossen gewesen, den Rest der Woche blauzumachen. Aus reinem
Selbsterhaltungstrieb, denn weitere Begegnungen dieser Art – die ziemlich
wahrscheinlich waren, denn donnerstags hatten wir sowohl Geschichte als auch
Karate – würden meine Gesundheit ernsthaft gefährden, dessen war ich mir
sicher. Im Laufe der schlaflosen Nacht jedoch war meine Depression langsam
einem gewissen Trotz gewichen. Ich würde mir nicht länger mein Schulleben durch
ihnschwermachen lassen. Und das würde ich ihm auch bei nächster
Gelegenheit sagen!
Je näher die Geschichtsstunde
kam, desto nervöser wurde ich. Es war eine Sache, den Entschluss zu fassen,
einen Grobian in seine Schranken zu weisen, aber eine ganz andere, diesen
Entschluss auch umzusetzen. Allein der Gedanke an Ariks kalte, schwarze Augen
machte mich ganz rappelig, und ich brauchte all meine Willenskraft, um nicht in
der Pause zwischen der zweiten und dritten Stunde Hals über Kopf die Flucht zu
ergreifen. Als ich dann schließlich mit zitternden Knien den Geschichtsraum
ansteuerte, hoffte ein nicht unwesentlicher Teil von mir inständig, dass er,
vielleicht von ähnlichen Gedanken wie ich getrieben, nicht da wäre.
Aber er war da.
Er saß schon an seinem Platz – an unseremTisch – als ich die Klasse
betrat, und war scheinbar angelegentlich in sein Geschichtsbuch vertieft, das
im Übrigen genauso zerfleddert aussah wie er selber.
Bevor ich es mir
anders überlegen konnte, marschierte ich schnell auf ihn zu, während ich mein
heftig klopfendes Herz und das Grummeln im Magen nach Kräften ignorierte.
Direkt vor ihm blieb ich stehen, die Hände in den Hüften, und starrte
angriffslustig auf ihn herunter. (Zumindest hoffte ich, dass ich so wirkte.)
„Also, was soll
das?“
Befriedigt
stellte ich fest, dass er beim Klang meiner Stimme zusammenzuckte. Doch er fing
sich rasch und schaute dann mit einem Blick zu mir auf, als hätte er keine
Ahnung, was ich von ihm wollte. Nachdem er mich kurz verächtlich von oben bis
unten gemustert hatte (und ich peinlicherweise spürte, wie mir die Röte ins
Gesicht schoss), fragte er gedehnt: „Was soll was?“ Sein Ton machte aus seiner
Geringschätzung keinen Hehl.
Plötzlich fühlte
ich mich überhaupt nicht mehr angriffslustig, sondern nur noch äußerst
unbehaglich. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich legte noch etwas mehr
Schärfe in meine Stimme. „Wieso benimmst du dich so?“
Seine
Augenbrauen zogen sich zusammen, wodurch sich eine steile Falte auf seiner
Stirn bildete, und der genervte Tonfall bekam einen aggressiven Beiklang. „Was
geht ausgerechnet dich mein Benehmen an?“
Meine Anspannung
wich echtem Ärger. „Was mich das angeht?“ Ich musste einmal tief durchatmen,
bevor ich an den Fingern aufzählte: „Seit ich hier bin, machst du mir das Leben
schwer! Zuerst überfährst du mich fast an meinem ersten Schultag, weil du
unbedingt mit einem Affenzahn über den Parkplatz rasen musst, ohne auch nur die
geringste Rücksicht auf deine Mitmenschen zu nehmen. Dann schleichst du dich
bei unserer Party ein, obwohl dich dort weiß Gott niemand haben wollte. Und
jetzt besitzt du auch noch die Dreistigkeit, mich wie eine Aussätzige zu
behandeln! Wenn du irgendwas von mir willst, dann sag es jetzt endlich! Und
ansonsten lass mich verdammt noch mal ein für allemal in Ruhe! Ich lege nämlich
wirklich keinenWert auf deine
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