Hinter der Tür
ganz verwirrt.« Er haßte den Klang seiner Stimme, die so gemessen tönte, daß sie sich schon fast salbungsvoll anhörte. »Es ist ganz verständlich, daß du nach einem solchen Erlebnis einen schlimmen Traum durchgemacht hast, einen sehr lebhaften Alptraum …«
»Aber es war kein Traum, wirklich nicht! Schau mich an, Steve, schau mir ins Gesicht!« Er gehorchte. Der übernatürliche Glanz ihrer Augen, die plötzlich gebremste Intensität ihrer Stimme waren alarmierender als ihre Worte. »Ich habe heute abend Helen Malmquist gesehen«, sagte sie. »Sie hat an meine Schlafzimmertür geklopft und mich geweckt. Ich stieg aus dem Bett und öffnete die Tür, und sie stand draußen.«
»Nein, Kleines…«
»Sie stand vor mir in ihrem blutigen Neglige – in dem gleichen Stück, das sie auch im Badezimmer getragen hatte. Es war auch noch Blut an ihren Handgelenken. Ich weiß das, weil sie nach auswärts gedreht waren, etwa so …« Sie führte es ihm vor. »Sie war tot, Steve, und doch war sie hier. Sie hat sogar zu mir gesprochen.«
»Was?«
»Sie sagte: ›Komm mit.‹«
Das Schnalzen, das über seine Lippen kam, war ein Laut des Unwillens.
»Sie hat es wirklich gesagt, Steve! Sie hielt mir ihre blutigen Arme hin und versuchte mich mitzunehmen.
Das habe ich noch gesehen, ehe ich ohnmächtig wurde – Gott sei Dank! Aber Helen war so greifbar wie du – das mußt du mir einfach glauben.«
»Versuch nicht so krampfhaft, mich zu überzeugen«, sagte er gepreßt. »Warum willst du mir etwas einreden, von dem wir beide wissen, daß es unmöglich ist?«
»Ja«, flüsterte sie. »Das habe ich mir ja auch die ganze Zeit gesagt. Daß es Gespenster nicht in der Wirklichkeit, sondern nur im Kopf eines Menschen gibt. Und wenn man Dinge sieht, die es nicht geben kann, wenn sie so real waren wie Helen …«
»Hör auf damit!«
Steve ließ sie los. Von der tröstenden Umarmung befreit, schien sie seinen Schutz plötzlich nicht mehr zu benötigen. Sie ließ sich zwischen ihre Kissen fallen, und ihr Gesicht nahm wieder einen Ausdruck leerer Resignation an. Wenn sie plötzlich losgeschrien hätte, wäre er nicht überraschter gewesen. Doch ihm kam auf einmal eine Idee, die die erschreckende Logik einer neuen mathematischen Lehre hatte.
»Gail, bitte hör mir mal genau zu«, sagte er. »Ich werde deine Worte nicht anzweifeln, ich werde dir aber auch nicht zustimmen. Hast du das verstanden?«
Sie drehte kaum den Kopf.
»Ich lasse dich nicht einfach gewähren. Aber mir ist eben etwas eingefallen. Es geht um deine Freundin Helen. Wie lange kennst du sie überhaupt?«
Ihre Lippen formten eine Antwort, die er nicht verstand.
»Nicht sehr lange – hast du das gemeint? Nur ein paar Monate, keine lebenslange Freundschaft.«
»Nein«, sagte sie.
»Du hast sie in der Kunst-Liga kennengelernt, ja?«
Gail schüttelte den Kopf. »Nein, in einer Cafeteria. Wir saßen zusammen an einem Tisch. Sie hatte ihre Zeichenproben dabei, und wir kamen ins Gespräch.«
»Dann weißt du also nicht sehr viel über sie, oder?«
»Was macht das schon? Wir haben uns angefreundet. Und als ich sie heute abend so daliegen sah …«
»Vielleicht hast du gar nicht gesehen, was du zu sehen glaubtest. Vielleicht hast du nicht Helens Leiche gesehen, sondern eine lebendige Helen! Hast du schon mal daran gedacht?«
Jetzt lag Ratlosigkeit in ihrem Blick – was Steve schon besser fand als die absolute Leere.
»Wovon redest du überhaupt?«
»Tote Frauen klopfen nicht an Türen und führen Gespräche, mein Schatz, nicht einmal in blutigen Negliges. Ich bin bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß du heute abend keinen Alptraum hattest, wenn du dich mit der Möglichkeit beschäftigst, daß Helen Malmquist gar nicht in ihrem Blute lag.«
»Aber ja! Ich hab‘s doch gesehen, ganz bestimmt! Ich habe die Rasierklinge gesehen, mit der sie sich umgebracht hatte – alles!«
»Wenn nun dieses ›alles‹ eine perfekte Bühnenshow gewesen ist?«
Wenn er schon sonst nicht weiterkam, erweckte er das Mädchen wenigstens wieder zum Leben.
»Wie wäre das möglich?«
»Warum nicht? Es gibt haufenweise Leichen auf der Bühne und im Kino – das ist oft verdammt echt gemacht. Woher weißt du so genau, daß dir Helen keinen kleinen Halloween-Streich gespielt hat? Wäre natürlich außerhalb der Jahreszeit«, fügte er trocken hinzu, »und vielleicht ein wenig übertrieben.«
Wieder schüttelte sie den Kopf, diesmal lebhafter.
»Denk darüber nach,
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