Hintergangen
begann sie, den enormen Stapel Brotscheiben mit Butter zu bestreichen.
»Oh, wir haben es versucht. Wir haben angeboten, von London herzukommen, haben ihn zu uns nach Manchester eingeladen, wären auch gern nach Oxford gereist, um uns auf halber Strecke zu treffen. Doch es kam bloß eine Ausrede nach der anderen. Laura war völlig vernarrt in ihn, aber für mich war das alles ziemlich merkwürdig. Wussten Sie, dass sie bis zur Hochzeit nicht einmal das Haus hier gesehen hatte? Hugo hat die ganze Hochzeit ›als Überraschung‹ für sie geplant. Sie hat natürlich traumhaft ausgesehen, wie eine Prinzessin. Er war ein Glückspilz, wenn Sie mich fragen, doch ich habe den starken Verdacht, dass er das anders gesehen hat. Er hat sich wohl für eine ganz tolle Partie gehalten. Arroganter Wichtigtuer!«
Au Backe, dachte Becky. Sie konnte Hugo tatsächlich nicht ausstehen.
Während Becky Tassen, Milch, Zucker und all die Utensilien für Tee und Kaffee bereitstellte, redete Stella weiter über die Hochzeit, über Lauras neues Zuhause und eine ganze Reihe von Dingen, die ihr an Hugo missfielen. Nichts davon verriet allerdings etwas über Lauras Verhältnis zu ihrem verstorbenen Ehemann.
»Sie haben gesagt, Ihre Tochter hätte sich verändert – aber glauben Sie denn nicht, dass sie auf ihre eigene Art und Weise mit Hugo glücklich war?«
»Ehrlich? Nein. Überhaupt nicht, obwohl sie das nicht zugeben wollte. Laura kann Niederlagen nicht gut wegstecken. Konnte sie noch nie. Wenn sie in einer Sache erfolgreich sein will, dann probiert sie es immer wieder, bis sie es schafft. Als sie glücklich gewesen ist, hat sie fast vor Begeisterung gesprudelt. Sie war jung und lebhaft.«
Stella hatte sich Becky zugewandt, und ihr Gesicht war vom Lächeln einer stolzen, liebenden Mutter erhellt. Es fiel Becky schwer, diese Beschreibung von Laura mit der Person im Wohnzimmer in Einklang zu bringen. Stellas Lächeln verflog, als sie fortfuhr.
»Schon bevor sie verheiratet waren, konnte ich sehen, dass sie ihre natürlichen Impulse zu bändigen versucht hat. Da hatte ich Hugo noch nicht kennengelernt, wusste also nicht, ob es nur an der Aufregung vor der Hochzeit lag oder vielleicht etwas mit ihrem Job zu tun hatte. Sobald ich ihn jedoch gesehen habe, wie er da am Altar gewartet hat, war ich mir sicher, dass er schuld war. Doch was konnte ich tun? In der Kirche aufstehen, wenn das mit dem ›Hinderungsgrund‹ kommt, und sagen, dass ich ein ungutes Gefühl habe und mir sein Anblick nicht gefällt?«
Inzwischen schnitt Stella den Käse in Scheiben, aggressiv, als wäre es ein Teil von Hugos Körper, den sie da mit dem scharfen Messer attackierte. Sie war jetzt voll in Fahrt, und Becky ließ sie weitersprechen.
»Seine Rede hat mir auch nicht besonders gefallen. Ein endloses Gequassel über seine sagenhafte Mutter und Alexa, die Liebe seines Lebens. Das fühlen wir doch alle über unsere Kinder, aber am eigenen Hochzeitstag … Ich bitte Sie! Laura hat er kaum erwähnt. Na, jedenfalls sind sie dann in die Flitterwochen gefahren, und Laura hat sich wahnsinnig darauf gefreut. Als sie zurückgekommen sind, habe ich beschlossen, hinzufahren und mal zu schauen, wie Laura zurechtkommt. Seien wir ehrlich – die Ehe ist nicht nur Liebelei, und manchmal dauert es eine Weile, bis einem das klar wird. Sie hat etwas niedergeschlagen geklungen, also habe ich mir gedacht, sie braucht vielleicht ein bisschen Unterstützung, weil sie ja ihre Arbeitskollegen nicht mehr hatte.«
Stella hob den Blick vom Käse und schwenkte das Messer in der Luft, um ihre Gedanken zu unterstreichen.
»Das kam noch dazu – er hatte sie gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben. Es war wohl unpassend für einen so bedeutenden Mann, dass seine Frau gearbeitet hat. Ehrlich gesagt war ich ziemlich erschrocken, als ich sie sah. Sie hatte abgenommen – nicht viel, aber doch sichtbar. Ihr Lächeln hat gezwungen gewirkt, und unter ihren Augen waren bläuliche Schatten. Ich habe sie gefragt, was denn los sei, und sie hat nur geantwortet, dass nichts sei und dass sie einen phantastischen Urlaub gehabt hätten und nun eben der Alltag wieder eingekehrt sei. Und dann hat sie noch etwas Seltsames gesagt …«
Stella legte das Messer aus der Hand und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Anrichte.
»Ich wollte wissen, ob sie denn Fotos hätte. Sie sagte: ›Ja, natürlich. Ich hole sie schnell – ich glaube, die sind in meinem Schlafzimmer.‹ Nun hätte es ja sein
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