HISTORICAL BAND 295
sie mit den Knien seine Oberschenkel, immer wieder verrutschte ihr Nackentuch, und ständig zog sie an ihrem Mieder. Ihr schweigsames und abweisendes Verhalten sprach indes nicht dafür, dass sie mit diesen Gesten seine Aufmerksamkeit erregen wollte. Sie hatte von vornherein nicht gewollt, dass er dem Aufruf ihres Vaters folgte, sonst hätte sie ihm keine falsche Auskunft erteilt. Doch weshalb wurde sie jedes Mal rot, wenn er sie ansprach? Von ihrer erhitzten Haut ging ein blumiger Wohlgeruch aus, der ihm fast den Verstand raubte.
„Schmeckt Euch das Essen nicht?“, erkundigte er sich, als der Earl nur noch berauscht vor sich hinstarrte und sie den Dienern einen Wink gab, ihren vollen Teller abzuräumen.
„Das Gerede über einen Mörder im Wald schlägt mir auf den Magen“, erwiderte sie.
Während sie keinen Appetit verspürte, schien er selbst immer hungriger zu werden – nach ihr. Nichts, als sie zu spüren, würde das Verlangen stillen, das in ihm brodelte, seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte.
Eindringlich sah er ihr in die grauen Augen. „Ich werde Euch von der Plage befreien.“
„Ja, aber um welchen Preis?“, fragt sie leise, um ihren Vater nicht zu wecken, der über seinem Braten eingenickt war. „Im Wald wimmelt es von Armen und Ausgestoßenen, die nichts Böses getan haben.“
„Meine Klinge wird nur den treffen, der es verdient.“ Die Unterredung mit dem Earl hatte ihn in dem Glauben bestärkt, dass der Schurke, der seinen Bruder auf dem Gewissen hatte, in der Nähe von Caladan Zuflucht gesucht hatte. Obwohl der Tote, der am Waldrand aufgetaucht war – anders als Fergus – keine Stichwunden aufwies, zeigte dessen Haut dieselbe unnatürliche Blässe.
„Wie wollt Ihr, ein Fremder auf unserem Land, den Unterschied erkennen?“ Ihre angespannte Miene verriet mehr als höfliches Interesse. Lady Violet sorgte sich um jemanden im Wald. Etwa um einen verbannten Liebhaber? Zu seiner Überraschung missfiel ihm der Gedanke.
„Wollt Ihr einen Verstoßenen schützen?“ Er senkte die Stimme, damit keiner der Bediensteten sie belauschen konnte.
Sie erhob sich und straffte die Schultern. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Sir. Der Wohnturm ist klein, aber es gibt oben ein Zimmer für Gäste. Einer der Diener wird Euch den Weg zeigen.“
So wurde hier ein Kriegsheld empfangen? Kein Wunder, dass keiner außer ihm dem Aufruf des Earl gefolgt war. Wahrscheinlich kannten sie bereits Lady Violets unnahbare Art. Anders als Finn wussten sie allerdings nicht, dass sie eine verborgene leidenschaftliche Seite besaß, die sie ungemein anziehend machte.
Eilig erhob er sich vom Tisch, damit sie sich nicht vorschnell auf ihr Zimmer flüchten konnte. „Ich würde es vorziehen, wenn Ihr mich begleitetet.“ Er spürte das Verlangen, derjenige zu sein, der die frostige Fassade dieser jungen Schönheit zum Tauen brachte.
Er und kein anderer.
„Sir, ich denke nicht …“
„Ich glaube, Ihr schuldet mir wenigstens diese kleine Gunst, nachdem Ihr mich heute so belogen habt.“
Sie hob eine Braue und berührte mit einem Finger seinen rechten Arm. „Durch Zufall habe ich Euch bereits mehr Gunst zuteilwerden lassen als jedem anderen Mann.“
Das Bild, das diese Worte vor seinem inneren Auge heraufbeschworen, ließ ihn lächeln.
Er folgte ihr aus der Halle, wobei er eine Fackel von der Wandhalterung nahm.
„Das war keineswegs meine Absicht, Lady Violet. Es kam mir vor, als wäre ich in einen schönen Traum gestolpert, als ich Euch am Fluss erspähte. Ein etwas kalter Tag zum Baden, nichtwahr?“
„Ich habe den Fluss nicht zum Baden aufgesucht.“ Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. „Beim Reiten hatte ich einige Spritzer abbekommen, die ich abwaschen wollte.“
Er erinnerte sich an den verzückten Ausdruck auf ihrem Gesicht, während sie durch die Dunkelheit schritten und die Musik und das Stimmengewirr der Diener hinter sich ließen.
„Es schien, als ob Ihr es genossen hättet“, bemerkte er mit heiserer Stimme.
„Nein.“ Sie widersprach mit solcher Entschiedenheit, dass er ihr beinahe glaubte.
Jäh hielt sie an. Im Schein der Fackel zeichnete sich vor ihnen eine Tür ab. Er nahm an, dass sich dahinter das Treppenhaus befand, und wollte sie öffnen, doch sie hielt seine Hand fest.
„Ich habe uns irregeleitet“, gestand sie, wobei sie seinem Blick auswich und ihr Tuch erneut verrutschte. „Wir sind schon an der Treppe vorbei.“
Der Anblick ihres unbedeckten Halses lenkte seine
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