HISTORICAL BAND 295
möglich mit Osgifu reden.
Im Großen Saal angekommen, eilte sie am Rand entlang, um Wulfrums Männern nicht in die Arme zu laufen. Jeder Gedanke an diese plündernden Wikinger war ihr zuwider.
Tagsüber schickte Halfdan kleinere Gruppen los, die nach Flüchtlingen suchten und auf die Jagd gingen. Am Abend verspeisten die Männer das Wildbret, und während sie etliche randvoll gefüllte Trinkhörner Met in sich hineinschütteten, wurde laut gescherzt und gelacht. Danach kam der Moment, den die Dienerinnen im Saal am meisten fürchteten, wenn nämlich die Krieger sie in Besitz nahmen und sich mit ihnen vergnügten. Bei der Vorstellung schauderte ihr, da ihr klar wurde, dass für sie selbst die Zeit allmählich knapp wurde.
So vertieft war sie in ihre Überlegungen, dass Elgiva den Mann zunächst nicht bemerkte. Erst als sie dicht vor ihm stand, sah sie ihn und blieb abrupt stehen, da sein grausames Lächeln sie an ein Raubtier erinnerte. Sweyn ließ genüsslich seinen Blick über ihren Körper wandern; Elgiva sah ihn nur abweisend an. Als sie an ihm vorbeigehen wollte, versperrte er ihr rasch den Weg. „Nicht so schnell, Weib.“
Er hob die Hände, aber sie wich ihm schnell genug aus und bedachte ihn mit einem zornigen Blick. „Geh aus dem Weg.“
Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das nichts als Hohn und Spott ausstrahlte. „Immer noch so stolz, Elgiva?“
„Lass mich durch.“
„Wir beide haben da noch etwas zu klären.“
Ihr Herz schlug schneller, dennoch hob sie trotzig den Kopf und sah ihn an. „Wir haben überhaupt nichts zu klären.“
„Meinst du wirklich?“
Abermals versuchte sie, um ihn herumzugehen, doch diesmal bekam er sie am Arm zu fassen und umklammerte ihn schmerzhaft. Sie sträubte sich gegen diesen Griff, aber er ließ nicht los.
„Mache ich dir etwa Angst?“, fragte er amüsiert.
„Das könnte dir wohl so gefallen.“
„Ach ja?“
„Lass mich endlich los, Ungeheuer!“
„Du hast die Dame gehört“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Elgiva drehte sich um und sah eine beeindruckende Gestalt, die nicht weit von ihr entfernt stand. Ein grauhaariger Hüne, der eine Axt in der Hand hielt. Er musterte sie beide scheinbar beiläufig, doch seine Miene verriet, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Elgiva konnte sich nicht daran erinnern, jemals so froh gewesen zu sein, einen Wikinger zu sehen. Erleichtert atmete sie auf, jedoch schien Sweyn nicht bereit, seine Beute so leicht entkommen zu lassen.
„Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Eisenfaust.“
„Das ist meine Angelegenheit. Die Frau gehört Wulfrum. Also lässt du sie jetzt los.“
Einen Moment lang starrten sich die beiden Männer an. Sweyns Augen funkelten zornig, dennoch ließ er ihren Arm los.
„Ihr solltet in Euer Gemach zurückkehren, meine Dame“, sagte Eisenfaust.
Elgiva sah keine Veranlassung, ihm zu widersprechen, und machte sich sofort auf den Weg, wobei sie spürte, dass die beiden ihr hinterhersahen. Sie war nur ein paar Dutzend Schritte weit gekommen, da entdeckte sie vor sich ein anderes vertrautes Gesicht. Erschrocken blieb sie stehen und sah sich außerstande, weiterzugehen oder kehrtzumachen.
Wulfrum musterte sie verwundert und bemerkte ihr Unbehagen. Dann entdeckte er Eisenfaust und Sweyn, die sich beide noch in Sichtweite aufhielten. Sweyn warf ihm ein spöttisches Grinsen zu und wandte sich zum Gehen, der Blick des grauhaarigen Riesen folgte ihm dabei.
Als Wulfrum wieder zu Elgiva sah, betrachtete er sie noch aufmerksamer. „Geht es dir gut? Hat Sweyn dich belästigt?“
Ihr Gesicht, das eben noch totenblass gewesen war, bekam mit einem Mal etwas Farbe. „Nein.“
„Du bist eine schlechte Lügnerin. Was ist vorgefallen?“
„Es war nichts. Nur dummes Gerede.“
„Hat er dich angefasst?“
Elgiva zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. Das Letzte, was sie im Moment gebrauchen konnte, war eine Auseinandersetzung zwischen Wulfrum und Sweyn. „Eisenfaust hat sich der Sache angenommen.“
„Tatsächlich?“
„Bitte … Es war nicht der Rede wert.“
„Darüber entscheide ich.“
„Hat es nicht schon genug Streit und Ärger gegeben?“ Die Worte kamen ihr unerwartet energisch über die Lippen, und sie musste tief durchatmen, um wieder zur Ruhe zu kommen. „Ich flehe Euch an, lasst es gut sein.“
Ihm entging nicht der gequälte Tonfall, doch noch viel stärker wirkte der Ausdruck ihrer bernsteinfarbenen Augen auf ihn. Fürchtete sie, er
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