HISTORICAL BAND 295
in der Menge stand, fiel ihr plötzlich der Mann auf, der neben ihr stand. Er kam ihr irgendwie vertraut vor, aber da seine weite Kapuze das Gesicht in tiefe Schatten tauchte, konnte sie ihn nicht richtig erkennen. Auf einmal drehte er sich ein Stück weit zu ihr um, und sie erschrak. Brekka!
Ungläubig starrte sie ihn an. „Was machst du denn hier?“
„Ich muss mit Euch reden, Herrin.“
„Wieso?“
„Lord Aylwin schickt mich.“
Elgiva wurde bleich und fürchtete einen Moment lang, ohnmächtig zu werden. Nur mit Mühe erlangte sie ihre Fassung zurück. „Aylwin lebt?“
„Aye, er lebt.“
„Wo ist er?“
„Im Wald, zusammen mit den übrigen Kriegern, die die Schlacht überlebt haben.“
„Geht es ihm gut?“
„Einigermaßen, auch wenn seine Wunden noch nicht vollständig verheilt sind.“ Brekka hielt kurz inne. „Er lässt ausrichten, dass Ihr Eure Hoffnung nicht aufgeben sollt. Und er sagt, er werde zu Euch kommen.“
Elgiva schnappte erschrocken nach Luft. „Das darf er nicht. Die Wikinger werden ihn töten, wenn sie ihn zu fassen bekommen.“
„Das wird ihnen nicht gelingen. Sobald er wieder gesund ist, wird er eine Streitmacht um sich scharen, um Ravenswood zurückzuerobern.“
Sie sah ihn besorgt an. „Das ist Irrsinn. So etwas kann nur noch mehr Blutvergießen nach sich ziehen.“
„Das lässt sich nicht vermeiden, Herrin.“
„Sag ihm, er darf das nicht tun. Er soll von hier weggehen. Nach Wessex oder noch weiter. Irgendwohin, wo die Wikinger sich nicht niedergelassen haben.“
„Ich werde es ihm ausrichten, Herrin, doch ich glaube nicht, dass er darauf hören wird.“
Danach schwiegen sie, um nicht die Aufmerksamkeit der Wikingerwachen auf sich zu lenken. Fieberhaft dachte Elgiva nach. Aylwin lebte. Diese Neuigkeit erfüllte sie mit Freude, zugleich jedoch auch mit Sorge. Er würde nicht so schnell aufgeben, auch wenn sein Plan völlig verrückt war. Er verfügte nicht über genügend Männer, das musste ihm doch klar sein.
Sie konnte nur beten, dass ihre Nachricht ihn erreichte und er die Flucht ergriff, bevor Wulfrum herausfand, wo er sich versteckt hielt. Sie war nun mit einem Edlen, einem Jarl aus den Nordländern, verheiratet, und der würde sie nicht wieder gehen lassen. Das hatte er ihr ebenso deutlich gemacht wie die Konsequenzen, die sie erwarteten, wenn sie ihm noch einmal den Gehorsam verweigerte. Sollte er auf die Idee kommen, dass sie sich mit ihrem ehemaligen Verlobten gegen ihn verbündete, dann würde sein Zorn keine Grenzen kennen. Sie konnte nur beten, dass Aylwin Vernunft annahm. Wulfrum konnte sie davon kein Wort anvertrauen, sonst würde sie Verrat an ihrem eigenen Volk begehen. Allerdings missfiel es ihr aus einem unerklärlichen Grund, ihn so zu hintergehen.
Halfdans Streitmacht brach am nächsten Tag auf. Elgiva sah mit großer Erleichterung, wie sich die Männer auf den Weg machten. Nicht mehr lange, dann war Sweyn weit entfernt, und sie würde ihn niemals wiedersehen. Von Aylwin abgesehen gab es jedoch noch einige andere Dinge, mit denen sie sich beschäftigen musste. So hatte Wulfrum erklärt, dass er über das Schicksal derjenigen entscheiden wollte, die in den Wäldern gefangen genommen worden waren. Mit einem Mal fragte sie sich, ob ihre Zuversicht womöglich fehl am Platz gewesen war. Würde er diese Leute töten oder sie auf irgendeine entsetzliche Weise bestrafen? Es war unmöglich, sein Verhalten vorherzusagen.
Gegen Mittag wurden die in Ketten gelegten Gefangenen auf dem Platz vor dem Wohnturm aufgestellt. Sie waren zerlumpt und schmutzig, und sie fürchteten um ihr Leben. Wulfrum hatte ihnen viel Zeit gelassen, damit sie über ihr Schicksal nachdenken konnten und um ihren Widerstand zu brechen. Als er jetzt vor die Gefangenen trat, war ihm die Aufmerksamkeit jedes einzelnen gewiss. Links und rechts von ihm standen Ido und Ceolnoth, die beiden Krieger, die sein größtes Vertrauen genossen, hinter ihm waren seine restlichen Männer aufmarschiert, die die verängstigten übrigen Angelsachsen bewachten, die gezwungen wurden, der Bestrafung ihrer Landsleute beizuwohnen. An einer Seite stand eine Kohlenpfanne, in der mehrere Eisen erhitzt wurden. Gleich daneben befand sich ein großer Holzblock, vor dem Olaf Eisenfaust sich aufgestellt hatte, auf eine große Streitaxt gestützt. Hin und wieder schaute einer der Gefangenen voller Unbehagen in seine Richtung.
Elgiva ging an der Seitenmauer entlang, bis sie die vorderste Reihe der Dänen
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