HISTORICAL BAND 295
erreicht hatte. Sie konnte ihren Ehemann klar und deutlich sehen, doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Dann drehte er sich zur Seite und sagte etwas zu Ido. Ihr fiel auf, dass er an dem Mann vorbei zu ihr schaute, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Würde er sie wegschicken? Würde er darauf beharren, dies hier sei Männersache, und sie habe hier nichts zu suchen? Aber nichts geschah, und er wandte sich wieder den Gefangenen zu. Elgiva trat ein paar Schritte näher, bis sie verstehen konnte, was er mit Eisenfaust besprach.
„Das sind die Männer, die in den Wäldern gefasst wurden?“
„Ja, Herr. Allesamt feige Hunde, die während der Schlacht davongelaufen sind.“
„Allerdings.“ Wulfrum ließ seinen Blick über die Gefangenen schweifen. „Sie werden lernen müssen, dass es kein Entkommen gibt. Dieses Land gehört jetzt mir mit all seinen Bewohnern, und was mir gehört, das behüte ich sehr aufmerksam.“
Elgiva schauderte unwillkürlich, da sie sich daran erinnerte, dass er bei einer anderen Gelegenheit ihr gegenüber ganz ähnliche Worte gesprochen hatte.
„Die Strafe für Sklaven, die zu entkommen versuchen, ist eindeutig: Sie verlieren entweder einen Fuß, oder ihnen werden die Kniesehnen durchtrennt.“
Ein entsetztes Raunen ging durch die Reihen der Gefangenen, denen jetzt klar wurde, was es mit der Kohlenpfanne und mit der Axt auf sich hatte, die Eisenfaust mit sich führte. Elgiva schnappte nach Luft und warf Wulfrum einen entsetzten Blick zu. Bestimmt würde er so etwas nicht machen. Das wäre unvorstellbar grausam. Ihr Herz schlug schneller und heftiger, als sie wieder ein paar Schritte auf ihn zumachte. Sein Blick zuckte nur kurz in ihre Richtung, und mit keiner weiteren Geste ließ er erkennen, dass er ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen hatte.
„Bringt den ersten Gefangenen zu mir.“
Entsetzt verfolgte sie, wie die Wachen vortraten und einen Diener namens Drem packten, der sich heftig wehrte. Ein paar Schläge gegen den Kopf ließen ihn zu Boden sinken, dann lösten sie seine Ketten und schleiften ihn hinter sich her, um ihn dem Jarl zu Füßen zu werfen. Wulfrum sah auf den Diener hinab, dann schaute er sie an.
„Nun, was soll es sein, Elgiva? Sollen wir ihm einen Fuß abschlagen oder seine Kniesehnen durchtrennen?“
„Lasst Gnade walten, Herr, ich flehe Euch an“, sagte sie, während sie mit den Tränen kämpfen musste. „Verstümmelt diese Männer nicht.“
„Das ist die übliche Bestrafung. Sie haben versucht zu fliehen.“
„Das kann man ihnen doch gewiss nicht zum Vorwurf machen. Die Schlacht war verloren, sie waren in der Unterzahl. Wer denkt in einer solchen Situation schon an etwas anderes als ans Überleben?“
Wulfrums Gesicht war unverändert ausdruckslos, als er ihr in die Augen sah. Einmal mehr wünschte Elgiva, sie wüsste, was er gerade dachte. Da er ihr Ansinnen nicht sofort abwies, beschloss sie fortzufahren. „Ihr habt selbst gesagt, dass Ihr jeden Mann benötigt, der für Euch arbeiten kann. Welchen Sinn hätte es, diese Männer zu Krüppeln zu machen? Verschont sie, und sie werden Euch gut dienen.“
Vor ihr auf dem Boden lag Drem, der förmlich an ihren Lippen hing. Beide sahen sie dann zu Wulfrum, der seinerseits nur Augen für Elgiva hatte. Sie zitterte leicht, als sie ihn mit ihren Blicken anflehte.
„Zeigt Euch gnädig, Herr.“
„Nachsichtigkeit kann als Schwäche ausgelegt werden.“
„Gnädig zu sein ist keine Schwäche. Alle hier wissen, dass Ihr der neue Herr über Ravenswood seid und dass Euer Wille Gesetz ist. Das bestreitet niemand. Welchen Zweck soll es haben, den Hass und die Angst dieser Leute weiter zu schüren? Gebt ihnen diese Chance, ich bitte Euch inständig.“
Wulfrum schien über ihre Worte nachzudenken. Nervös biss sich Elgiva auf die Lippe und fühlte ihr Herz rasen. Würde er auf sie hören? Der arme Kerl, der vor ihm auf dem Boden lag, kniff die Augen fest zu.
„Nun gut. Weil es dein Wunsch ist, dass ich Gnade walten lasse, werde ich das tun.“ Er wandte sich den Wachen zu. „Von nun werden diese Gefangenen nur noch den eisernen Kragen der Sklaven tragen, damit sie nicht vergessen, was ihre Pflicht von ihnen verlangt. Außerdem bekommt jeder Mann zehn Peitschenhiebe.“
Elgiva atmete befreit auf. Die Anspannung, die ihr und ihren Landsleuten die Kehle zugeschnürt hatte, fiel von ihnen ab, und die Männer dankten Gott dafür, dass sie verschont wurden. Die angeordneten Peitschenhiebe würden
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