HISTORICAL BAND 295
der ihr auf der Zunge lag. „Dann werde ich mich jetzt wieder meinen Pflichten widmen.“
„Sobald ich es dir erlaubt habe“, sagte er.
Sie hielt mitten in der Bewegung inne, jede Faser ihres Körpers war verkrampft. Wulfrum wartete ab, ob sie wohl dem Drang nachgeben würde, ihn zu schlagen, mit dem sie erkennbar rang. Er hatte sie absichtlich so herausgefordert, fragte sich aber, ob sie den Köder schlucken würde. Insgeheim hoffte er, dass sie es tat.
Das Schweigen hielt an, und Elgiva zwang sich, seinen durchdringenden blauen Augen standzuhalten. Dieser Bastard machte sich einen Spaß daraus, sie zu provozieren. Und es würde ihm noch mehr Vergnügen bereiten, wenn sie sich ihm zu widersetzen versuchte. Doch sie wollte ihm keinen Anlass liefern, sie zu berühren. Sie sah, wie sein Lächeln breiter und dreister wurde. Der Wunsch, ihm eine Ohrfeige zu geben, wuchs, doch sie behielt sich im Griff.
„Du kannst dich jetzt wieder an deine Arbeit begeben, Elgiva.“
Sie hob das Kinn und warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann machte sie auf der Stelle kehrt und ging fort. Wulfrum schaute ihr hinterher. Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, sie hierzubehalten, konnte er nicht mit Gewissheit sagen. Das würde die Zeit zeigen, doch bis auf Weiteres war es ihm lieber, wenn sie dort blieb, wo er sie im Auge behalten konnte.
Zunächst kehrte Elgiva ins Frauengemach zurück, wo sie eine Weile von ohnmächtiger Wut erfüllt auf und ab ging. Anscheinend kannte seine Arroganz keine Grenzen. Nach einiger Zeit ließ die Verärgerung allmählich nach, und ihre Gedanken wandten sich Osgifu zu. Wenn die Dorfbewohner tatsächlich unter Übelkeit und Erbrechen litten, benötigte sie die entsprechenden Heilmittel. Also ging sie in die Kammer, wo sie und Osgifu die Kräuter aufbewahrten, um sie zu Tränken und Salben zu verarbeiten. Nachdem sie ein Feuer entzündet und einen Topf mit Wasser aufgesetzt hatte, griff sie nach einem Behältnis mit Weidenrinde und bereitete eine Tinktur zu.
Einige Stunden später hatte Elgiva einen ordentlichen Vorrat an Medizin für Osgifu hergestellt. Es war eine in vieler Hinsicht befriedigende und beruhigende Beschäftigung gewesen. Sie konnte dabei alles um sich herum vergessen und sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Tatsächlich war sie sogar so darin vertieft, dass sie nicht hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
Wulfrum blieb auf der Schwelle stehen und schaute sich um. Es war das erste Mal, dass er diesen Raum aufsuchte. An den Wänden standen Regale mit unterschiedlich großen Behältnissen, Kräuterbündel waren zum Trocknen an die Deckenbalken gehängt worden. Sie dufteten sehr angenehm und erfüllten den Raum mit intensiven Aromen, die er mittlerweile mit Elgiva in Verbindung brachte. Sie stand an ihrem Tisch, ohne seine Anwesenheit zu bemerken. Lächelnd trat er ein.
Plötzlich hörte Elgiva Schritte und drehte sich um.
„Herr?“
Er schaute zu den Gefäßen, in die sie die Tinktur zum Abkühlen gegeben hatte. „Du warst fleißig.“
„Ja, Osgifu wird diese Mittel morgen benötigen.“ Sie bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, aber auch wenn sie sich äußerlich gelassen gab, schlug ihr Herz mit einem Mal schneller. Der Raum kam ihr plötzlich viel kleiner und beengender vor.
„Deine Talente haben sich bereits als äußerst nützlich erwiesen“, meinte er.
„Es freut mich, dass Ihr so denkt.“
„Welche verborgenen Talente besitzt du noch, Elgiva?“
Sie hielt seinem Blick stand, doch wie immer konnte sie nicht ergründen, was in seinem Kopf vorging. Beunruhigt wandte sich von Wulfrum ab, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Dabei spürte sie, dass er jede ihrer Bewegungen aufmerksam beobachtete. Obwohl er nichts sagte und sich nicht rührte, ging von ihm eine bedrohliche Kraft aus. Die Erinnerung an die vorangegangene Meinungsverschiedenheit sorgte noch immer für eine angespannte Atmosphäre. Da sie ihn nicht direkt wieder verärgern wollte, hielt Elgiva lieber den Mund.
Wulfrum hatte eine Vermutung, worum in diesem Augenblick ihre Gedanken kreisten, und er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Er hatte ihr nicht deswegen verboten ins Dorf zu gehen, weil er einen Fluchtversuch befürchtet hätte. Das war nur ein Vorwand gewesen. So wie sein Besuch in diesem Raum nur ein Vorwand war. Er musste sie nur ansehen, dann wusste er, wieso er in Wahrheit hier war. Schritt für Schritt ging er weiter, bis er schließlich neben ihr stand.
Um ihn nicht
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