Historical Band 298
ihnen die Tür vor der Nase zuschlug und den Riegel vorschob.
„Wir sollten uns aufteilen“, flüsterte Jane. Noch nie war ihr Cambridge so groß vorgekommen. Geoffrey konnte überall sein.
Duncan schüttelte den Kopf. „Ein einzelner Mann ist ein leichtes Ziel.“
So wie Geoffrey es gewesen war.
Henry ballte und streckte kampfbereit die Hände.
Duncan führte sie weiter und ging dabei ganz methodisch vor. Zuerst suchten sie im Kreis alle Straßen und Gassen nahe dem Laden ab. Dann weiteten sie ihre Suche aus auf die Pfade zwischen den Colleges und dem Fluss.
Während ihrer Suche durchlebte Jane noch einmal die letzten vier Monate. Hier war der Stall, in dem sie geschlafen hatte. Dort, in der Ecke, hatten Hawys und sie das erste Mal miteinander gesprochen. Und da war die Kirche, wo Duncan sie am ersten Tag absetzte.
Damals hatte sie sich vor dem Unbekannten gefürchtet. Heute wusste sie genau, wovor sie Angst haben musste.
Schließlich kamen sie zum Fluss, und sie hielt sich dichter an Duncan, während Henry an ihrer linken Seite blieb. Schon bei Tageslicht war der Fluss nicht gerade einladend.
Aus der Entfernung konnte sie einen Schiffer auf seinem Boot schnarchen hören. Wozu in der Kälte und Dunkelheit wach bleiben? Hinter ihnen ragte düster Trinity Hall empor, geschützt von Zäunen und Toren; ein schwacher Versuch, all die Gefahren fernzuhalten, die vom Wasser her lauerten.
Dann hörten sie es: Jemand stöhnte.
Duncan warf Henry einen Blick zu, legte aber den Arm um Jane, um sie näher an sich zu ziehen. In der Hoffnung, dass Henry es nicht bemerkte, schmiegte sie rasch das Gesicht an seine Brust. Das vertraute Schlagen seines Herzens schenkte ihr Trost.
Sie wünschte sich die vergangene Woche und ihre heile kleine Welt zurück.
Wieder ein Stöhnen. Kaum hörbar.
Sie rannte auf das Geräusch zu, kämpfte sich durch das hohe Gras am Ufer. „Geoffrey?“
„Langsam!“, rief Duncan, aber auch er und Henry rannten jetzt.
Jane erreichte Geoffrey als Erste. Mit geschlossenen Augen lag er unter einer Weide. Seine Kleider waren zerrissen und mit Schlamm beschmiert. Duncan und Henry kamen direkt hinter ihr und knieten sich in den nassen Schlick.
Geoffreys schmale Brust hob und senkte sich unter rasselnden Atemzügen. Vielleicht lag er schon seit Stunden hier.
Stumm sah sie Duncan an.
„Wir können ihn tragen“, meinte Henry.
Duncan schüttelte den Kopf. „Lass mich erst sehen, ob etwas gebrochen ist.“ Seine Hand strich von Geoffreys Kopf zu seinem Puls und tastete dann Arme und Beine nach gebrochenen Knochen ab.
Geoffrey öffnete die Augen und schien sie zu erkennen. „Wird aber auch Zeit!“ Ein schwaches Grinsen zuckte um seine aufgerissenen, trockenen Lippen.
„Du hättest uns auch einfach fragen können, ob wir dich vermisst haben.“ Jane hörte die Erleichterung in Duncans Stimme. Geoffrey würde also keine bleibenden Schäden davongetragen.
„Sagt Mary nichts“, flüsterte Geoffrey schwach.
„Alles werde ich ihr erzählen“, sagte Jane in Little Johns spöttischem Tonfall. „Dann kommt sie und verpasst dir eine schöne Tracht Prügel, weil du uns solchen Ärger machst.“
Als Frau aber betete sie, dass Mary nie erfuhr, dass sie ihn fast verloren hätte.
„Wer hat dir das angetan?“ Henry hob kampfbereit die Fäuste.
Geoffrey verzog das Gesicht, während sie ihm halfen, sich aufzurichten. „Besoffene Kerle aus der Stadt.“ Er brachte die Worte nur langsam heraus. „Waren wild auf eine Schlägerei. Wahrscheinlich kam ich ihnen da gerade recht.“
„Kannst du gehen?“, fragte Duncan.
Geoffrey nickte und zuckte dann zusammen. „Du musst mir nur ein wenig helfen.“
Er brauchte mehr als nur ein wenig Hilfe. Duncan auf der einen Seite und Henry auf der anderen, trugen sie ihn auf dem Weg zum Hostel mehr, als dass sie ihn stützten. Danach mussten sie denen, die noch auf waren, die ganze Geschichte erzählen. Bevor Duncan sie zurückhalten konnte, stürzte zwei der Älteren aus der Tür und raus auf die Straße, um Rache zu üben. Egal, an wem.
Am Fuß der Treppe legten die Freunde eine Pause ein. „Bringen wir ihn in mein Bett“, sagte Duncan und sah dabei Jane an.
Sie rannte voraus, schlug die Decke zurück und machte Feuer im Kamin. Duncan und Henry trugen Geoffrey das letzte Stück bis zum Bett und legten ihn hinein. Niemand kümmerte sich darum, dass die saubere Bettwäsche mit Schlamm beschmiert wurde.
Jane holte rasch einen Topf voll Wasser und saubere
Weitere Kostenlose Bücher