Historical Band 303
Der Zwischenfall hatte ihn nicht unberührt gelassen, die Schatten seiner Vergangenheit huschten über seine Miene. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt wie eine Bogensehne. Endlich ließ er Schwert und Dolch sinken und nahm Nairna die Zügel aus der Hand.
Erst als einige Meilen zwischen ihnen und der Burg lagen, atmete Nairna ruhiger. Zu viel hätte schief gehen können. Sie hätten Bram verhören oder ihn in Gewahrsam nehmen können.
Ihr Vater hatte recht. Sie mussten fort von Ballaloch. Weit fort. Nur in Glen Arrin, bei Brams Familie, würden sie in Sicherheit sein.
„Wo willst du unser Nachtlager aufschlagen?“, fragte Nairna, als die Sonne sich anschickte unterzugehen. Sie war noch nicht müde, aber sie hatte Hunger.
Keine Antwort. Es war, als hätte sie gegen eine Wand gesprochen.
„Bram?“, drängte sie. Er drehte sich nicht zu ihr um, rührte sich nicht. Stumm starrte er auf die Straße vor ihnen. Erst jetzt merkte sie, dass seine Hände zitterten. Auch wenn er kerzengerade dasaß, stimmte etwas nicht.
Seine Augen waren blicklos, als wäre er in einem Traum gefangen. Nahm er seine Umgebung überhaupt wahr?
„Was ist los?“
Er antwortete nicht. Nairna griff in die Zügel und hielt die Pferde an. Er schien noch nicht einmal zu bemerken, dass sie nicht mehr fuhren. Sein Blick ging ins Leere. Nairna griff nach seiner Hand. Sie war eiskalt.
„Sprich mit mir“, flüsterte sie und bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Der Himmel wurde dunkler und Wind erhob sich. Bram schien in der Welt seiner eigenen Gedanken verloren zu sein. Sie hatte den Verdacht, dass er sie gar nicht hörte.
Vorsichtig berührte sie seine Wange. Vielleicht konnte sie so den Zauber vertreiben, der auf ihm zu liegen schien. Sanft ließ sie die Fingerspitzen über seine Haut bis hinunter zu seiner Kehle gleiten. Aber als sie seine Narbe berührte, schoss seine Hand vor und packte ihr Handgelenk. Wahnsinn loderte in seinen Augen. Er sah sie an, als wäre sie ein Feind, der ihm ans Leben wollte.
Der plötzliche Schmerz ließ sie nach Luft schnappen. Sie schloss die Augen. Wie, um Himmels willen, sollte sie zu ihm durchdringen? Er war zwar bei Weitem nicht mehr so stark wie früher, aber das Handgelenk konnte er ihr sicher brechen.
„Bram, ich bin es, Nairna“, flüsterte sie. „Sieh mich an. Ich bin …“, sie stieß zitternd den Atem aus, „… deine Frau“, brachte sie mühsam hervor.
Als er immer noch nicht reagierte, unterdrückte sie mit aller Kraft den heftigen Schmerz. „Du tust mir weh, Bram.“
Qualvoll lange sprach sie beruhigend auf ihn ein und hoffte, dass er sie irgendwie erkennen würde.
Und dann ließ er sie plötzlich los. Er kniff die Augen zusammen und blickte sie verwirrt an. Als er sah, wie sie sich das gerötete Handgelenk rieb, seufzte er gequält auf.
„Was hab ich dir angetan, Nairna?“
Sie schüttelte den Kopf und wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Herz raste, und sie brachte es nicht über sich, ihn anzusehen.
„Es tut mir leid“, flüsterte er und wollte ihre Hand untersuchen. Aber sie verbarg sie vor ihm. „Ich habe geträumt. Ich muss eingeschlafen sein.“
„Deine Augen waren aber offen.“
Er stützte die Ellbogen auf die Knie und legte das Gesicht in die Hände. Sie sah, dass seine Finger immer noch zitterten und bekam es mit der Angst zu tun. Hatte er die Wahrheit gesagt? Vielleicht war es wirklich ein Wachtraum gewesen, vielleicht aber auch der Wahnsinn. Sie wusste es nicht.
„Lass uns hier die Nacht verbringen“, bat sie ruhig. „Wir werden uns etwas ausruhen und am Morgen wieder aufbrechen.“
„Nairna.“ Er hob den Kopf und sah sie voll Reue an. „Niemals, auch in tausend Jahren nicht, würde ich dir wehtun wollen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut.“
Sie rückte von ihm ab und sprang vom Karren. In ihrem Kopf herrschte ein solches Durcheinander, das sie nicht zu sprechen wagte. Deshalb nickte sie nur, während sie sich das schmerzende Handgelenk hielt und zum nahen Fluss ging.
Bram hielt sie nicht zurück, aber er ließ sie nicht aus den Augen. Er sah zu, wie sie am Ufer niederkniete und ihr Handgelenk im kalten Wasser badete. Ihm war, als hätte jemand ein Messer genommen und ihm die Seele aus dem Leib geschnitten.
Er hatte ihr dies angetan. Er hatte zugelassen, dass die Albträume ihn in einem Mann verwandelten, den er nicht kannte. Nairna musste irgendetwas zu ihm gesagt oder ihn vielleicht angefasst haben. Und er besaß
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