HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
sie zum Konsulat.
„Was soll das heißen – Reed ist nicht hier?“, fuhr Jed den eingebildeten Kerl an, der den Nachtdienst im Konsulat versah.
„Genau das, was ich sagte“, antwortete der Angestellte sehr amtlich.
„Wo zum Teufel ist er?“
„Sehr wahrscheinlich daheim in seinem Haus“, lautete die Antwort des Angestellten, der den Barbaren aus den Kolonien und die fragwürdige Schönheit an dessen Seite herablassend betrachtete.
„Nun, dann lassen Sie ihn gefälligst holen!“, befahl Jed wutschnaubend, was den Konsulatsmenschen mehr erschreckte als das Gewehr, das Jed beim Wachmann im Vestibül gelassen hatte.
„Ich muss doch sehr bitten!“
„Das können Sie später tun“, meinte Jed. „Jetzt sollen Sie erst mal Reed herholen. Sagen Sie ihm, ich bringe ihm seine Verlobte zurück.“
„Miss Shaw?“, fragte der Bursche ungläubig, und als Victoria nickte, verwandelte sich seine Arroganz in Unterwürfigkeit. „Ich kümmere mich auf der Stelle darum“, versicherte er unter vielen Verbeugungen. „Und ich lasse Ihnen Tee bringen, wenn’s recht ist.“
„In Ordnung, und dann machen Sie sich rar, bis Reed kommt“, rief Jed dem Mann hinterher. „Miss Shaw möchte eine Weile allein sein.“
„Sehr wohl, Sir.“
Nachdem der Angestellte den Raum verlassen hatte, ging Victoria nervös auf und ab. Sie war bestürzt gewesen, als sie gehört hatte, dass Hayden sein Junggesellenquartier hier aufgegeben und Residenz in dem Haus genommen hatte, das ihnen beiden einmal gehören sollte. Freilich hatte sie ihm rasch vergeben, weil sie annahm, dass der Umzug nichts anderes bedeutete als sein Festhalten an der Hoffnung auf ihre Rückkehr und die Heirat. Allerdings bedeutete seine Abwesenheit auch, dass sie nun noch länger mit Jed zusammensein musste, was ihr keineswegs recht war. Ihr Ärger auf Hayden erwachte aufs Neue.
Unter diesen Umständen wurde es schwierig, überzeugend zu sein, wenn sie sich nachher anlässlich der freudigen Wiedervereinigung in die Arme ihres Verlobten warf, doch genau das musste sie tun, damit Jed glaubte, Hayden wäre der Mann, den sie ehrlich begehrte.
Im Moment fühlte sie die grünen Augen fest auf sich gerichtet, während sie über den luxuriösen Teppich schritt. Jed wirkte wie eine beutehungrige Wüstenkatze, und Victoria erwartete beinahe, dass er auch noch zu knurren beginnen würde, was er zu ihrer Erleichterung indes nicht tat. Mit jeder schweigsamen Minute, die verging, ohne dass er etwas sagte, löste sich ihre innere Anspannung ein wenig; sie hoffte bereits, dass er zur Einsicht gekommen war und ihre Entscheidung akzeptierte.
Als der Tee gebracht wurde, war sie schon so entspannt, dass sie sich auf den damastbezogenen Stuhl setzte. Nichts hätte sie jetzt lieber getan, als sich in Jeds Arme zu werfen. Stattdessen jedoch schenkte sie höflich zwei Tassen voll. Wie sie sich auf ihrer Rückreise von Khartum manchmal nach Tee aus zarten Tassen gesehnt hatte! Damals hätte sie behauptet, es gäbe nichts so Wunderbares wie die Annehmlichkeiten der Zivilisation. Jetzt saß sie auf elegantem Mobiliar unter einem Kristalllüster, sah die Ölgemälde an den Wänden, hielt eine zerbrechliche Porzellantasse in der Hand und stellte fest, dass alles das ohne Bedeutung war.
Jed Kinkaid war das Einzige, was sie jetzt begehrte. Selbst in seiner zerknitterten Kleidung, mit dem zu langen dunklen Haar und dem Stoppelbart besaß er tausendmal mehr Würde als seine Umgebung. Seine Männlichkeit, seine Vitalität, sein Stolz ließen die Dinge unwichtig erscheinen, welche die gehobene Gesellschaft schätzte.
Wieder wollte sie zu ihm gehen, ihn bitten, sie zurückzunehmen, doch dann erinnerte sie sich, weshalb sie ihm nicht gehören konnte: Sie durfte ihn nicht zu einem unglücklichen Leben verdammen.
Ein leises Seufzen entrang sich ihren Lippen. Victoria schickte sich ins Unvermeidliche. Sie wollte Jed freigeben und versuchen, für Hayden eine gute Ehefrau zu sein.
Das Geräusch eiliger Schritte auf dem Korridor unterbrach ihre Gedankengänge. Victoria erhob sich und blickte zur Tür. Sie wappnete sich für das, was sie jetzt tun musste.
Jed hörte die Schritte im Flur ebenfalls. Am liebsten hätte er Vicky in die Arme genommen; wenn Reed sie bei seinem Eintritt so vorfände, wäre die Frage, wen sie heiraten wollte, ein für alle Mal geklärt. Dennoch entschied sich Jed dagegen, weil er ahnte, dass sie ihn für ein solches Vorgehen hassen würde.
Die Tür wurde aufgerissen.
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