HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
hatte er gelernt, wie weit er gehen konnte, ohne außer Gefecht gesetzt zu werden.
„Vielleicht brauchen wir mehr Leute wie Mr. Isham in dieser Welt“, sagte Hannah nachdenklich.
Wenn es mehr solcher Menschen gäbe, würde ich nicht hier sein wollen, dachte Deegan, nahm das feuchte Tuch vom Gesicht und zwang sich dazu, aufzustehen. Finley sollte bald hier sein. Er musste wieder ganz auf der Höhe sein, wenn der Detektiv an die Tür klopfte.
„Wen hast du sonst noch auf deiner Liste der Verdächtigen?“, erkundigte sie sich. Obwohl sie ihm wortlos das Tuch abnahm, blickte sie ihn doch tadelnd an. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass er bereits wieder aufstand. Vermutlich wäre es ihr lieber gewesen, ihn noch eine Weile bemuttern zu können.
„Einen Kerl, der eine ganz andere Art von Nächstenliebe praktiziert“, erwiderte Deegan. Falls Liebe tatsächlich irgendetwas mit den perversen Vorlieben dieses Mannes zu tun hatte. „Der Bankier Farlong jagt hier den Schatten nach.“ Er stand auf und fand es ermutigend, dass er nicht sogleich ins Wanken kam, als er einen Schritt tat. Auch sein verletztes Bein gab unter seinem Gewicht nicht nach.
Hannah wartete, bis sie überzeugt war, dass er nicht umfiel, und ging dann ins andere Zimmer, um das feuchte Tuch über den Herd zu hängen. „Ich habe ihn gesehen. Er ist einer von Maisy Duckets Kunden. Du musst mir also nichts weiter über seine Vorlieben erzählen.“
„Du hast völlig recht. Soweit ich informiert bin, geht er hier nur zu Madam Ducket und ihren Mädchen. Er spricht mit niemand anderem und versucht auf keinen Fall, Aufmerksamkeit zu erregen“, sagte Deegan. „Mit der einen Ausnahme, als er sich kurz mit Isham traf. Der Heilige und der Sünder haben vermutlich über den Pferdestall des Bankiers gesprochen, da kurz darauf ein von Isham Geretteter dort ausmisten durfte.“
„Belle Tauber gehörte auch nicht zu den Mädchen, wie sie bei Maisy arbeiten“, meinte Hannah. „Dafür ist sie schon zu lange als Hure beschäftigt gewesen.“
Aber wenn es weder Farlong noch Isham waren – wer blieb dann noch übrig? Deegan kannte viele Männer der höheren Gesellschaft, hatte aber noch keinen Einzigen davon als Verdächtigen benennen können. Zu keinem passten die Merkmale, die Hannah und er dem geheimnisvollen Fremden hinter Severns Tätigkeit zuschrieben.
„Irgendetwas ist uns bisher entgangen“, fuhr Deegan fort. „Eine Kleinigkeit, die aber verdammt wichtig ist. Irgendjemand spielt hier ein sehr geschicktes Katz-und-Maus-Spiel mit uns.“
„Es wird dir schon noch einfallen, Digger“, beruhigte Hannah ihn und blieb vor dem Spiegel stehen, um sich anzusehen. Sie strich sich ein paar Locken aus dem Gesicht. „Ich glaube an dich.“
Auch Lilly glaubte an ihn. Verdammt! Was hatte er übersehen? Hatte es etwas mit einem der lukrativen Geschäfte zu tun, die Severn besaß? Der Mann hatte überall seine Finger drin: in der Prostitution, dem Opiumhandel, in Erpressungen und Glücksspielen. Jedes seiner Gewerbe wurde getrennt geführt, wobei die Kerle, die das Geld in Empfang nahmen, direkt an Severn Bericht erstatteten. Da er mit seinen täglichen Transaktionen so viel zu tun hatte, fand er bestimmt keine Zeit, neue Opfer ausfindig zu machen. Und doch wurden seine Einnahmen stetig größer. Jemand musste Verbindungen haben, die es ihm ermöglichten, weitere Geldquellen anzuzapfen. Es musste sich um jemanden handeln, der in einer anderen gesellschaftlichen Schicht zu Hause war und sich dort gefahrlos umhören konnte.
Aber wer?
Deegan durfte nicht länger Zeit mit Hannah verschwenden. Ich muss in die Saloons zurück, dachte er. Er musste sich bei Severn beliebt machen, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Er musste einer seiner vertrauten Handlanger werden, um so die Identität des Mannes herauszufinden, der das Gehirn hinter dem ständig größer werdenden Verbrechersyndikat darstellte. Der Mann, der einen guten Ruf zu verlieren hatte. Der Mann, der wie ein Gespenst kam und ging, ohne dass ihn bis jetzt jemand bemerkt hatte.
Keiner außer der bedauernswerten Belle Tauber.
Verflixt und zugenäht! Deegan fühlte sich so hilflos – und das nicht nur, weil er Blut verloren hatte. Er hoffte inständig, dass er recht hatte und es tatsächlich am geschicktesten war, mithilfe von Magnus Finley zu versuchen, das Geheimnis zu lüften.
Er holte die Taschenuhr aus seiner Lederweste. Von den Abbots hatte er eine Mietdroschke zurück zum „Palace Hotel“
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