Historical Lords & Ladies Band 39
sich. Spürte das Entsetzen darüber, dass er das zierliche schwarzhaarige Mädchen nicht hatte retten können. Hörte Kanonendonner und menschliche Schreie. Aber er wusste, dass es vorbei war. Er war wieder in England. Der Kampf gegen Napoleon wurde Hunderte von Meilen entfernt geführt.
Er zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen, und nach und nach verblassten die schrecklichen Eindrücke. Robert erhob sich, schlüpfte in seinen Morgenmantel und trat zum Fenster. Es dämmerte, und auf den Straßen waren bereits die ersten Händler unterwegs. London war eine sehr lebendige Stadt.
Trotzdem verspürte er eine heftige Sehnsucht nach Delaval. Er hatte den Besitz seiner Familie immer geliebt. Und von jeher hatte er das Leben auf dem Lande dem in der Stadt vorgezogen. Er freute sich auf die harte Arbeit, die ihn daheim erwartete. Wenn Delaval wirklich so verwahrlost war, wie Churchward behauptet hatte, dann würde nicht nur Geld nötig sein, um es herzurichten. Es würde viel Mühe kosten, das Haus wieder bewohnbar und das Land fruchtbar zu machen. Nun, er brannte darauf, zu beginnen. Zuerst allerdings galt es, eine Gattin zu finden.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als ihm einfiel, dass Miss Jewell ihm geraten hatte, die Frau zu wählen, die ihn am wenigsten langweilte. Tatsächlich war unter den Damen, die an der Hochzeitsfeier seiner Cousine Anne teilgenommen hatten, nicht eine gewesen, die ihm auch nur im Entferntesten interessant erschienen war. Wohingegen die hübsche Schornsteinfegerin überaus faszinierend auf ihn gewirkt hatte …
Ein Gedanke begann sich in seinem Kopf zu formen.
„Ich kann nicht!“, rief Jemima.
Obwohl sie Jack versprochen hatte, sich dem Willen ihres Vaters zu beugen, hatte sie in letzter Minute festgestellt, dass es ihr unmöglich war, ihre Zustimmung zu der Hochzeit mit Jim Veale zu geben.
„Ich kann nicht“, wiederholte sie mit ruhigerer Stimme.
Sie saß mit ihren Eltern im Salon des von Wohlstand zeugenden Hauses in der Great Portland Street. Es war ein mit Möbeln und Nippes überladener Raum. Manchmal dachte Jemima, dass die Sammelleidenschaft ihrer Mutter schon beinahe krankhaft war. Ihr Vater schien ähnliche Gedanken zu hegen. Jedenfalls sah man ihm an, dass er sich in dem Zimmer nicht wirklich wohlfühlte. Und wie hatte Mrs Montagu gesagt? „Weniger ist manchmal mehr. Am elegantesten wirkt häufig das, was am einfachsten ist. Das gilt für die Kleidung einer Dame ebenso wie für die Einrichtung eines Hauses.“
Alfred Jewells Gesicht hatte sich vor Zorn über die Widerspenstigkeit seiner Tochter gerötet. Aber noch gelang es ihm, seine Wut zu zügeln. „Du kannst ihn nicht heiraten? Was soll das heißen? Natürlich kannst du. Und du wirst es auch tun. Und zwar noch in diesem Monat.“
Jemima, die auf dem Sofa saß, schüttelte stumm den Kopf.
„Kind“, hörte sie ihre Mutter flüstern, „du musst deinem Vater gehorchen.“
Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Noch nie hatte Mrs Jewell es gewagt, Partei gegen ihren Gatten zu ergreifen, egal worum es ging. Und leider war auch Jack nicht da, um Jemima zu unterstützen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als noch einmal einen Erklärungsversuch zu machen. „Ich weiß, dass Jim ein guter Mann ist“, begann sie zögernd. „Aber für mich ist er nicht der Richtige. An seiner Seite würde ich ersticken. Bitte, Papa, ich kann ihn wirklich nicht heiraten.“
„Unsinn!“, widersprach Jewell heftig.
Sie spürte, dass es sinnlos war. Er würde nicht verstehen, dass ihr vor einem Leben graute, in dem es keine Bücher, keine Musik, keine Gespräche gab, die sich mit etwas anderem als den häuslichen Problemen und dem Schornsteinfegerdasein beschäftigten. Als Mrs Veale würde sie vermutlich nie eine Kunstausstellung besuchen und höchstens einmal im Jahr ins Theater gehen, um sich ein leichtes Stück anzuschauen, das ihren Gatten zum Lachen und sie zum Gähnen brachte.
Alfred Jewell hatte sich aus seinem Sessel erhoben und war zum Sofa getreten. Er stand jetzt vor Jemima, ergriff ihre Schultern und schüttelte sie leicht. „Komm endlich zur Vernunft! Du bist die Tochter eines Handwerkers, und du wirst die Gattin eines Handwerkers sein. Du wirst deinen Mann nach bestem Können unterstützen. Zum Beispiel sollst du ihm beim Führen der Bücher behilflich sein. Deshalb habe ich dir erlaubt, diese Schule zu besuchen. Aber wenn ich geahnt hätte, welche Flausen man dir da in den Kopf setzt
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