Historical Saison Band 09
erstaunlich oft an sie gedacht hatte. Immer wieder hatte er versucht, sich auszumalen, welche Art von Leben sie an der Seite eines Vaters wie Lord Langford wohl geführt hatte. Er hatte angenommen, die Vorstellung würde Mitleid in ihm wecken. Doch stattdessen empfand er Bewunderung für die junge Dame, die ihr Schicksal so entschlossen in die Hand genommen hatte. Sie hatte für ihren eigenen Lebensunterhalt gearbeitet und zudem erst für ihre kranke Mutter und etwas später auch noch für ihren Vater gesorgt.
Lady Myers hatte berichtet, wie unkonventionell Sophies Alltag gewesen war. Offenbar hat Lord Langford seine Tochter nicht daran gehindert, sich den Touristen in Neapel als Fremdenführerin zur Verfügung zu stellen. Er schien sie sogar ermutigt zu haben, an den Treffen mit seinen Bekannten teilzunehmen und sich in die Diskussionen der Gentlemen einzuschalten. Nach einem tiefen Seufzer hatte Lady Myers erklärt: „Ich habe vergeblich versucht, ihm klarzumachen, dass dieses Leben nicht gut für Sophie ist. Ich habe ihm sogar angeboten, das Mädchen unter meine Fittiche zu nehmen. Doch er wollte nichts davon hören. Nun ja, wer hätte sich dann auch um ihn kümmern sollen? Er war ja vollkommen abhängig von ihr und dem Geld, das sie verdiente!“
Darüber sollte ich nicht mit Sophie sprechen, dachte James, schließlich beabsichtige ich nicht, sie zu kränken. Aber irgendwie muss ich ihr zu verstehen geben, dass sie sich in London nicht genauso wie in Neapel benehmen darf.
„Sophie“, begann er, „wir wollen nicht länger über den heutigen Abend sprechen. Allerdings möchte ich Sie bitten, sich in Zukunft besser zu überlegen, worüber Sie mit Ihren neuen Bekannten reden. Vergessen Sie nicht: Der Krieg ist zwar vorbei, aber nicht alle, die sich in London aufhalten, sind Freunde unseres Landes.“
„Es tut mir sehr leid, dass ich Ihr Missfallen erregt habe“, gab sie zurück. Ihr Herz schlug plötzlich schneller, denn es war ihr nicht entgangen, dass er sie zum ersten Mal mit dem Vornamen angesprochen hatte.
„Sie werden begreifen“, stellte er fest, „dass ich in meiner Position besonders vorsichtig sein muss.“
„Ich werde in Zukunft daran denken“, versprach sie. Tatsächlich fragte sie sich, ob er darauf anspielte, dass er für die Sicherheit des Prinzregenten verantwortlich war, oder ob es noch andere Gründe für ihn gab, besonders vorsichtig zu sein. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er etwas vor ihr und der Welt verbarg. War er im Besitz irgendwelcher Staatsgeheimnisse? Die Vorstellung faszinierte sie, und lächelnd gab Sophie sich ihren Fantasien hin.
Unversehens wurde der Duke zu einem Romanhelden, der auf dem Kontinent die größten Heldentaten vollbracht hatte und nun, da der Krieg zu Ende war, müde, aber auch stolz auf seine Leistungen nach England zurückkehrte. Da allerdings erwarteten ihn schon neue Aufgaben. Er musste eine junge Dame vor einem schrecklichen Schicksal retten – und natürlich verliebte er sich unsterblich in sie.
Welch ein Unsinn, rief sie sich selbst zur Ordnung.
Da der Landauer gerade an einem hell erleuchteten Hauseingang vorbeifuhr, bemerkte James ihr Lächeln. Bei Gott, machte sie sich etwa über seine Ermahnungen lustig? Er sollte sie aufs Land schicken! In Dersingham Park konnte sie nicht viel Unheil anrichten. Andererseits – und das gestand er sich nur sehr widerwillig ein – würde er sie vermissen. Wie war das möglich? Er kannte sie doch erst seit drei Tagen.
In diesem Moment kam die Kutsche vor Belfont House zum Stehen. Einer der Lakaien eilte herbei, um den Schlag zu öffnen, und der Duke half Sophie beim Aussteigen. „Wir sind zu Hause“, sagte er freundlich.
Zu Hause, dachte Sophie, als sie wenig später die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnete. Wie gut sich das anhörte! Aber hatte der Duke wirklich gemeint, dass sie sein Heim als ihr Zuhause betrachten sollte? Es fiel ihr schwer, das zu glauben. Besser würde es sein, wenn sie ihr Buch recht schnell fertigstellte, um sich so ihre Unabhängigkeit zu sichern.
Am nächsten Nachmittag blieb Harriet daheim, um Besucher zu empfangen. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich der große Salon gefüllt. Mehrere Matronen mit seidenen Turbanen, einige junge Damen, die frühlingshaft bunte Musselinkleider trugen, und eine ganze Reihe von Gentlemen jeden Alters hatten sich dort versammelt. Fasziniert betrachtete Sophie die Dandys, die kaum den Kopf drehen konnten, weil ihre gestärkten Hemdkragen so hoch
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