Historical Saison Band 15
seinen Stolz nicht noch mehr verletzen, als ich es ohnehin schon riskiert habe. Er besitzt die meisten Londoner Zeitungen. Und er ist verdammt gerissen.“
„Warum du ihn nicht einfach schneidest, verstehe ich nicht.“
„Weil wir auf politischer Ebene zusammenarbeiten müssen. Außerdem kennst du sicher das Sprichwort ‚Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher‘.“
„Ein Grund mehr, um den Schurken zum Duell zu fordern und eine Kugel in seine Schulter zu feuern.“
„Die müsste ich ihm ins Herz schießen, sonst würde er sich ein paar Tage später erneut auf mich stürzen. Außerdem käme ich nicht ungeschoren davon, wenn ich einen Peer umbringe.“
„Mit einer Reise auf den Kontinent.“
„Es wäre zumindest schwierig. Und ich will mein Leben nicht von Misbourne diktieren lassen. Zudem ist das Problem jetzt gelöst. Wenn es ihm auch missfällt, dass ich Arabella statt seiner Tochter heirate – er kann verdammt wenig dagegen tun.“
Für Arabella verstrich die Woche nach dem Verlobungsball in hektischer Geschäftigkeit. Darüber war sie froh, denn es lenkte sie von ihrem schwierigen Verhältnis zu Dominic und der Hochzeit ab. Sie spielte ihre Rolle, so gut sie es vermochte, und passte bei allen gesellschaftlichen Konversationen höllisch auf, damit sie nicht versehentlich etwas ausplauderte, das ihr Geheimnis verraten würde.
Am Montag besuchte sie mit ihrer Mutter und Dominic eine musikalische Soiree bei Lady Carruthers, am Dienstagabend Lady Filchinghams Empfang. Am Mittwoch sahen sie eine „Hamlet“-Aufführung im King’s Theatre, am Donnerstag nahmen sie an Lord Roystons Ball teil. Und am Freitag gingen sie in die Oper. Zusätzlich musste Arabella drei Nachmittagsbesuche bewältigen.
Und jetzt, am Samstagvormittag, erholten sie sich, ehe sie Vorbereitungen für einen weiteren Ball an diesem Abend treffen würden.
Während ihre Mutter erschöpft in einem Lehnstuhl döste, brachte Arabella ihrem Sohn ein Kartenspiel an einem kleinen, mit grünem Filz bespannten Tisch bei.
„Ich gewinne!“, schrie Archie triumphierend und zeigte seiner Mutter die Karten in seiner Hand.
„Pst, du Schlingel“, flüsterte Arabella belustigt, „Du weckst deine Grandma.“
„Ich schlafe nicht“, murmelte Mrs Tatton, „ich ruhe nur für fünf Minuten meine Augen aus, solange ich eine Gelegenheit dazu finde.“
Bald begann sie leise zu schnarchen, und Archie kicherte.
In diesem Moment hörten sie den Türklopfer aus Messing gegen die Haustür schlagen.
„Kommt Dominic mich wieder besuchen?“, fragte der Junge. „Hoffentlich, ich mag ihn so sehr.“
„Das hoffe ich auch“, sagte Arabella wahrheitsgemäß, denn sie wusste, dass Dominic zwar nicht sie, aber seinen Sohn über alles liebte.
„Dominic? Erwarten wir ihn heute?“ Mrs Tatton rieb sich die Augen. „Keine Ahnung, warum ich in letzter Zeit so müde bin …“
„Zu viele lange Abende, Mama“, meinte Arabella. „Und nein, um diese Stunde erwarten wir weder Dominic noch einen anderen Besuch. Darum wird Gemmell sich kümmern.“
Wenige Minuten später erschien der Butler im Salon. „Verzeihen Sie, Madam, da ist ein Gentleman, der darauf besteht, mit Ihnen zu sprechen. Ein Mr Smith.“
Was er von einem Gentleman hielt, der seine Herrin um diese Tageszeit unangemeldet belästigte, drückte seine Miene deutlich aus. Als wäre sie tatsächlich die ehrbare Mrs Marlbrook …
Voller Zuneigung lächelte Arabella ihn an.
„Ich wollte ihn wegschicken“, fuhr er fort. „Bedauerlicherweise weigert er sich zu gehen, bevor ich Ihnen eine Botschaft ausrichte, Madam. Natürlich könnten die Lakaien ihn hinauswerfen – allerdings würde eine so drastische Maßnahme unliebsames Aufsehen erregen.“
„Dass Sie zu mir gekommen sind, war ganz richtig, Gemmell.“ Einen Mr Smith kannte sie nicht, und sie wollte keinen Gentleman außer Dominic empfangen, aber auch keinen Skandal heraufbeschwören, indem sie einen Besucher gewaltsam von ihrer Eingangstür entfernen ließ. „Wie lautet die Botschaft?“
„Nun, sie lautet …“ Sichtlich verlegen errötete der Butler und räusperte sich. „Miss Noir.“
In der Stille, die dieser Erklärung folgte, schien der Name ohrenbetäubend widerzuhallen. Entsetzt hielt Arabella den Atem an. In ihrem ganzen Körper breitete sich eisige Kälte aus. Miss Noir … In ihrer Fantasie tauchte die Vision ihrer eigenen Gestalt vor dem Spiegel in Mrs Silvers Haus auf – das fast
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