Historical Weihnachtsband 1990
noch gewinnen", wandte Travis ein.
Erschrocken sah Isabelle ihn an. Sie war sich gar nicht bewußt gewesen, daß sie mit ihrer Bemerkung eine Haltung eingenommen hatte, die praktisch eine Niederlage des Südens voraussetzte. „Der Süden wird den Krieg gewinnen", beeilte sie sich deshalb zu versichern, doch dann schien ihr etwas einzufallen. „Das klingt ja so, als stünden Ihnen die Lees ziemlich nahe."
Travis stand langsam auf und schob seinen Stuhl zurück. Dabei ließ er Isabelle nicht aus den Augen. „Der General ist mein Patenonkel, Miss Hinton. Wir alle verlieren in diesem Krieg. Er hat seine Wahl getroffen, und ich habe das ebenfalls getan. Ein Mann muß das tun, was er für das Richtige hält. Und dennoch will ich Ihnen etwas sagen, Miss Hinton: Dieser Brudermord muß und wird zu Ende gehen, und wenn das geschieht, und wenn wir zu den Glücklichen gehören, die ihn überleben, dann wird er von neuem mein Freund und Mentor sein und ich sein untertäniger Diener."
Isabelle sprang auf, krallte ihre Finger um die Rückenlehne ihres Stuhls und starrte Travis wütend an. Es grenzte fast an Gotteslästerung, so von General Robert E. Lee zu reden. Er
wurde von seinen Soldaten wie überhaupt vom ganzen Süden bewundert, er war ein ausgezeichneter General und ein echter Gentleman.
„Wie können Sie es wagen?" schrie sie ihn an und zitterte am ganzen Körper.
Er trat einen Schritt auf sie zu, packte ihr Handgelenk und hielt sie so fest, wo sie doch am liebsten davongerannt wäre. „Wollen Sie uns denn alle zu Monstern stempeln?"
„Ich habe so einiges gelesen, was da vorgekommen ist, und weiß, wozu Yankees fähig sind."
„Ja, ja, und wir haben alle ,Onkel Toms Hütte' gelesen, aber daß ihr eure Sklaven auspeitscht oder in Ketten legt oder vor den Wagen spannt, das muß mir erst noch einer zeigen. Bei Gott, ja, es gibt Ungerechtigkeiten, und etwas von den Horrorgeschichten ist immer wahr, aber müssen wir deshalb noch eins draufsetzen?"
„Ich setze überhaupt nichts drauf." Isabelle riß sich von ihm los und eilte aus dem Raum, aber Travis rief sie zurück.
„Isabelle!"
Sie drehte sich um. Groß und eindrucksvoll stand der Captain da in seiner Galauniform und den Kavalleriestiefeln, den Säbel in der um die Hüften gegürteten Scheide. Sein Blick traf sie, hitzig und dunkel.
„Ich bin kein Monster."
„Spielt es eine Rolle, was ich denke?"
Ein verschämtes Lächeln stahl sich um seine Lippen. „Nun ja, für mich schon. Es ist nämlich . . . Ich mag Sie."
Isabelle keuchte vor Empörung. „Tun Sie das lieber nicht, Yankee! Wagen Sie es nicht, mich zu mögen!"
★
In dieser und allen folgenden Nächten lag Isabelle wach und lauschte auf Aylwins Bewegungen, doch weder machte er sich an ihrer Tür zu schaffen, noch kam er jemals wieder auf seine Gefühle für sie zu sprechen, sondern blieb immer ausgesprochen höflich und zuvorkommend. Und obwohl sie meinte, Distanz zu ihm wahren zu müssen, fand sie sich dazu nicht in der Lage. Gelegentlich kam sie zum Essen herunter, und zwar meistens dann, wenn Sergeant Sikes oder ein anderer zugegen war.
Manchmal war Travis tagelang weg, und sie hegte den Verdacht, daß er davonritt, um Informationen über Truppenbewegungen weiterzugeben oder zu besorgen.
Anfang April erwachte Isabelle eines Morgens und stellte fest, daß im Haus ungewöhnliche Aktivität herrschte. Aus der Art, wie die Männer umherhasteten und im Büro ein und aus gingen, schloß sie, daß etwas vorgefallen war.
Sie ging hinunter und präsentierte sich im Arbeitszimmer. Aylwins dunkler Schopf war in intensivem Studium über eine Landkarte gebeugt. Er spürte ihre Anwesenheit und sah plötzlich auf.
„Was ist los?" fragte sie ohne Einleitung.
Travis richtete sich auf und studierte sie ebenso eingehend wie vorher die Landkarte, wobei ein seltsamer Schatten jedes etwaige Gefühl in seinen Augen verbarg. „Wir ziehen ab. Eine Kompanie Rebellen ist hierher unterwegs."
„Sie ziehen in den Kampf?"
„Darum geht es schließlich im Krieg", gab Travis zurück, und ein leichter Anflug von Bitterkeit klang in seiner Stimme mit. Er ließ sich auf der Tischkante nieder und schaute Isabelle unentwegt an. „Sie sollten froh sein. Vielleicht kommen wir ja alle um, und Ihr Wunsch erfüllt sich."
„Ich will nicht, daß Sie umkommen. Ich will nur, daß Sie hier weggehen."
Travis lächelte, hob eine Hand und ließ sie wieder sinken. „Nun, genau das tun wir ja. Sagen Sie, Isabelle, werden Sie
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